Die EU "en marche"

Mit dem neuen französischen Staatspräsidenten Macron erfährt die altbewährte Achse Berlin-Paris eine Dynamisierung.

Der Wahlsieg des proeuropäischen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron und die Dynamisierung der deutsch–französischen Achse sind nicht die einzigen Gründe für einen optimistischen Ausblick auf die Zukunft Europas.

Noch vor einem Jahr hat die Brexit-Entscheidung der Briten bei den notorischen EU-Kritikern Jubel und die Erwartung eines Dominoeffekts ausgelöst. Inzwischen befindet sich Großbritannien am Rand des politischen Chaos, und es ist für alle ersichtlich, dass der Austritt aus der EU selbst für ein starkes Land mit großen Nachteilen verbunden ist.

Marine Le Pen hat mit ihrem Frexit bei den Wahlen Schiffbruch erlitten, und die österreichischen FPÖ-Granden mussten einen Rückzieher vom Weg in den Öxit vornehmen. Auch Geert Wilders in den Niederlanden hat erfahren, dass mit einer antieuropäischen Politik heute keine Wahlen zu gewinnen sind.

Sosehr der Austritt Großbritanniens zu bedauern ist, der Wegfall des stärksten Bremsfaktors wird die Weiterentwicklung der Union erleichtern. Auch die europafeindliche Haltung Donald Trumps und die Erkenntnis, dass sich Europa nicht mehr auf die USA als ultimative Schutzmacht verlassen kann, dürften hilfreich sein. Sie dienen als Weckruf für die Europäer, die ihr Schicksal endlich selbst in die Hand nehmen müssen. Die weitgehende Überwindung der Finanzkrise und der Beginn eines Wirtschaftsaufschwunges verstärken die Bedingungen für überfällige Reformen, um die EU effektiver zu gestalten.

Große Erwartungen

Am 13. Juli werden die Regierungen Deutschlands und Frankreichs in Paris eine gemeinsame Kabinettssitzung über die Stärkung der Eurozone abhalten. Die weitreichenden Vorschläge Macrons – ein eigenes Budget und Parlament, ein Finanzminister sowie ein gesetzlicher Rahmen für die Umschuldung von Staatsschulden – wurden in Berlin grundsätzlich mit Wohlwollen aufgenommen. Allerdings will die deutsche Führung vor den Wahlen den Eindruck vermeiden, allzu bereitwillig die Rolle des Financiers einer Transferunion zu übernehmen.

Neben der Eurozone werden sich die Bemühungen um eine effektivere europäische Zusammenarbeit vor allem auf die Kontrolle und das Management der europäischen Außengrenzen sowie auf die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik konzentrieren.

Die Erwartungshaltung ist groß. Die öffentliche Meinung verlangt konkrete Resultate. Die Debatte über die Meriten einer „flexiblen Union“ trägt diesem Stimmungsbild ebenso Rechnung wie die in Rom im März verabschiedete Erklärung der 27, in der auf die Möglichkeit einer Integration mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten hingewiesen wird.

Alte Konzepte wie „Kerneuropa“ oder „konzentrische Kreise“, aber auch die im Lissabonner Vertrag vorgesehene „verstärkte Zusammenarbeit“ gewinnen an Aktualität. Unbestritten ist, dass konkrete Integrationsschritte allen Mitgliedstaaten offenstehen müssen. Es liegt nun an den kleineren Ländern, ihre Positionen festzulegen und sich aktiv in den begonnenen Reformprozess einzubringen.

Albert Rohan (geboren in Melk) studierte Rechtswissenschaften in Wien und hatte Spitzenposten im österreichischen diplomatischen Dienst inne, zuletzt war er Generalsekretär des Außenamts.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2017)

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