Alles ist Innenpolitik: Von Fehlern und Störfaktoren

Laut „Presse“ die Hauptkontrahenten für die Oktoberwahl: Christian Kurz (rinks) und Sebastian Kern (lechts).
Laut „Presse“ die Hauptkontrahenten für die Oktoberwahl: Christian Kurz (rinks) und Sebastian Kern (lechts).(c) REUTERS (HEINZ-PETER BADER)
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Der Wahlkampf dauert noch zehn Wochen und könnte richtig heiß werden. „Die Presse“ verteidigt Standpunkte gegen Kurzsichtigkeit.

Im politischen Tauziehen um die Mittelmeerroute der Flüchtlinge ist es „Die Presse am Sonntag“, die ihre schon in den turbulenten Wochen des Jahres 2015, als Österreich den sich über sein Staatsgebiet ergießenden Flüchtlingsstrom passiv geschehen lassen musste, vertretene Position bekräftigt hat: „Europa lässt sich im Mittelmeer moralisch erpressen. Europa muss klar zu erkennen geben, dass seine Prinzipientreue nicht ausgenützt werden darf“, schreibt sie in einem Kommentar (16.7.).

Zu dieser Erkenntnis sind offenbar trotz aller innenpolitischen Geplänkel auch Bundeskanzler Christian Kern und Außenminister Sebastian Kurz gekommen. Mit Blick auf den Wahltag wissen sie, dass sie die heikle Problematik nicht mit Leerformeln vor sich herschieben dürfen. Europa für viele Millionen Einwanderer zu öffnen ist keine Option.

Ein zweites großes Anliegen der „Presse“ ist die ordentliche Haushaltsgebarung: „Bitte, lieber Staat, schenk uns heuer bitte nichts mehr!“ (20.7.) Die Nachrichten von einem Wirtschaftsaufschwung könnten die Politiker nicht zum ersten Mal zum Schuldenmachen verleiten. „In Wahrheit bekommt ganz Österreich diesen Aufschwung quasi geschenkt. Die Geldschwemme ist der wahre Treiber hinter der Erholung der Euroländer. Doch der künstlich generierte Boom ist nicht von Dauer.“

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Im Spannungsfeld der zwei Spitzenkandidaten kann sich redaktionelle Hektik ausbreiten. Dann gerät der Kanzler plötzlich mit dem Vornamen des Außenministers in die Zeitungsspalte und wird Sebastian Kern genannt (1.7.) Er wird es ertragen. So verwechselbar sind die beiden ja noch nicht. Problematischer kann ein missglücktes Zitat sein: „Die Zielscheiben sind schon alle auf uns gerichtet“, soll Außenminister Kurz gesagt haben. Wie schießt man mit Zielscheiben?

Ein Blick in die APA, die größere Teile der Kurz-Rede verbreitet, deutet darauf hin, dass Kurz Ähnliches, aber doch anderes gesagt hat, nämlich: „Und auch wenn wir jetzt schon die Zielscheibe aller sind, bin ich der festen Überzeugung, dass es richtig ist, dass wir uns dabei nicht beteiligen.“ Jedenfalls hat diese Version auch inhaltlich einen Sinn. „Hektisch geht es auch in der ÖVP und Parteizentrale in der Lichtenfelsgasse gegenüber des Wiener Rathauses zu.“ (23.6.) Gewiss, aber „gegenüber dem Rathaus“ stünde zumindest im richtigen dritten Fall.

SPÖ-Frauen spielen seit Monaten in Wien eine wichtige und für die Partei manchmal verhängnisvolle Rolle. Das ist aber kein Grund, ihnen ein doppeltes n zu verweigern wie in diesem Zwischentitel: „Wiener Genossinen voran“ (5.7.).

Die politischen Verabschiedungen scheinen kein Ende zu nehmen. „Die Presse“ registriert nicht nur die großen Namen Mitterlehner, Pilz und Glawischnig sowie mit dem Team Stronach gleich eine ganze Partei. Im Reigen derer, die kommen oder gehen, ist es aber um eine Wiener Politikerin auffallend still geworden, sie selbst übrigens auch. Was macht sie eigentlich? Vielleicht beantwortet „Die Presse“, die ja auch für „Was macht Reinhold Mitterlehner?“ (1.7.) eine Druckseite Platz hatte, einmal auch die interessante Frage „Was macht Maria Vassilakou?“. So gut kann es der Heiligen aller Radfahrwege seit dem Gnatsch um das Hochhaus nicht gehen, dass schon seit 27. Juni nicht mehr viel mehr als „Bezirke gegen Vassilakou“ über sie zu lesen war.

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Wirklich gut gelungen ist die Reportage über Wiens großstädtische Paradebierbrauerei Ottakringer unter dem Titel „Ein Bier als Landmark feiert Jubiläum“ (1.7.) Zwei unerfüllte Wünsche darf man vielleicht anmerken: Auch auf der Wien-Seite sollten in einer Unternehmensreportage die wichtigsten Geschäftsdaten genannt werden. Und der Wien-Zentrismus sollte nicht in der Feststellung gipfeln: „Eine Idee wäre, das Brauereifest aus der Brauerei hinaus auf den Johann-Nepomuk-Bayer-Platz auszudehnen, der bekanntlich neu gestaltet und verkehrsberuhigt wird.“

Wie viele Leser in Linz oder Salzburg wüssten damit etwas anzufangen, dass der Johann-Nepomuk-Bayer-Platz „bekanntlich“ neu gestaltet wird? Eine journalistische Hausregel verbietet das Wort „bekanntlich“, weil dieses entbehrlich ist, wenn etwas bekannt ist, aber Leser in Verlegenheit bringt, wenn sie keine Ahnung von dem haben, was angeblich alle wissen.

Zum Schiedsurteil zwischen Kroatien und Slowenien über die umstrittene Bucht von Piran hätte recht gut eine kleine Karte gepasst (6.2.). Sehr übersichtlich ist die Grafik über konservative Regierungen in Europa (2.6.).

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Immer wieder wird jemandes gedacht, fast ebenso oft wird der Genitiv freilich durch eine fehlerhafte Konstruktion ersetzt. Etwa in der Überschrift „EU-Institutionen gedenken Helmut Kohl“ anstatt „Helmut Kohls“ (22.6.) sowie „Italien gedenkt dem Kampf gegen die Mafia“ (19.7.).

Manche unüberlegte Formulierungen bewirken Aussagen, die der Autor gar nicht anstrebt. Das geschieht sehr oft in Finalsätzen, in denen die zweckbestimmenden Konjunktionen „damit“ oder „um zu“ verwendet werden. Verwendet man „um zu“, ohne dass eine erkennbare Absicht dahintersteckt, wird der Sinn verdreht wie hier: Im All England Lawn Tennis Club habe Roger Federer 2003 seinen ersten Grand Slam gewonnen, „um nun wenige Tage vor seinem 36. Geburtstag als ältester Major-Einzelsieger“ den Pokal zu stemmen (17.7.). Mit anderen Worten: Der Tennischampion müsste den zu seinem jetzigen Geburtstag passenden Sieg schon vor 14 Jahren genau geplant haben, was höchst unglaubhaft ist.

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Die britische Premierministerin, Theresa May, habe immer der Politik Vorrang über der Wirtschaft eingeräumt (23.6.). Den Vorrang räumt man in dem Fall der Politik vor der Wirtschaft ein.

In Katar habe „die irakische Armee einen seiner ausländischen Standorte“, schreibt die Zeitung. Da die Armee weiblich ist, muss es „ihrer Standorte“ heißen (24.6.).

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Getrieben von der Hitzewelle, stelle ich eine sprachliche Quizfrage: Was ist der Unterschied zwischen nackt und nackig? Unter der Überschrift „Bayer saß nackt auf dem Hausdach“ moduliert „Die Presse“ nämlich im ersten Satz ihren Wortschatz:. „Ein nackiger Mann auf einem Hausdach rief in Landshut nahe München Feuerwehr und Polizei auf den Plan.“ Das wird wohl nicht ohne Überlegung geschehen sein. Ratlos grabe ich wie so oft im „Duden“ nach. Der kennt auch keinen Unterschied, sondern sagt über nackig: mitteldeutsch, umgangssprachlich, landschaftlich. So wird es wohl sein.

Womit noch die zweite Frage zu beantworten ist. Warum saß der Mann auf dem Dach? Seine Freundin habe ihn mit der Aufforderung, „sich zu schleichen“, hinausgeworfen, worauf er durch das Dachfenster ausgestiegen sei, das die Freundin hinter ihm versperrte.

DER AUTOR

Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist, Mitbegründer und Sprecher der „Initiative Qualität im Journalismus“ (IQ). Die Spiegelschrift erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:

Spiegelschrift@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2017)

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