Gastkommentar

Suggestive Volksbefragungen

Die Tiroler Olympia-Befragung steht im Spannungsverhältnis zur VfGH-Judikatur.

Am 15. Oktober wird österreichweit gewählt, doch in Tirol steht auch eine Volksbefragung mit folgender Formulierung an: „Soll das Land Tirol ein selbstbewusstes Angebot für nachhaltige, regional angepasste sowie wirtschaftlich und ökologisch vertretbare Olympische und Paralympische Winterspiele Innsbruck-Tirol 2026 legen?“ Abgesehen davon, dass sämtliche Landesbürger über ein Ereignis abstimmen, das wirtschaftlich nur wenige Regionen betrifft, muss sich jemand, der mit Nein stimmt, als Querulant fühlen.

Die Festlegung der konkreten Frage jeder Volksbefragung ist wie das gesamte Verfahren beim VfGH überprüfbar. Zu einer Grazer Volksbefragung hat der VfGH ausgesprochen, dass das Substrat dessen, was den Wahlberechtigten zur direktdemokratischen Entscheidung vorgelegt wird, klar und eindeutig sein muss (VfSlg 15.816/2000). Aus der Judikatur ist abzuleiten, dass die Frage verständlich sein soll und eine klare Alternative zwischen Nein und Ja enthalten muss. Daher sollte man simpel danach fragen, ob die Stimmberechtigten für die Tiroler Bewerbung zur Ausrichtung der Olympischen und Paralympischen Spiele 2026 sind. Alles Weitere ist entbehrlich.

Komplizierte Formulierung

Über den Anlassfall hinaus sind Unklarheiten Gift für den Erfolg plebiszitärer Elemente. Kaum jemand weiß heute noch, dass im Juni 1994 abgestimmt wurde, ob das EU-Beitritts-Bundesverfassungsgesetz Gesetzeskraft erlangen soll, mit dem die verfassungsrechtlich zuständigen Organe ermächtigt wurden, den EU-Beitrittsvertrag abzuschließen. Eine einfache Frage sieht anders aus.

Das Prozedere der Abstimmung war laut VfGH korrekt (VfSlg 13.839/1994), doch die intensive Regierungswerbung und das Fehlen an Informationen über die zehn wichtigsten Verfassungsänderungen auf einer A4-Seite in der Wahlzelle hinterließen einen schalen Nachgeschmack.

Zu den kritisierten, vom VfGH aber nicht überprüften Formulierungen gehörten auch jene von Wiener Volksbefragungen, bei denen nach der Citymaut (bei rechtlicher Unklarheit über den Citybegriff und deren räumliche Ausdehnung), nach der Einführung des Hundeführscheins (bei Unklarheit über die gefährlichen Rassen) und der Etablierung von Hausbesorgern (trotz Bundeskompetenz ohne Ingerenzmöglichkeit des Landes) gefragt wurde. Bei künftigen Befragungen muss daher auch in Wien deutlicher formuliert werden, etwa wenn es um temporäre Fahrverbote gehen sollte.

Volksbefragung in Graz

Zweifellos war die vom VfGH im Jahr 2000 beanstandete Frage die extremste. Im Zusammenhang mit dem Ausbau einer Straßenbahnlinie war die Frage der Grazer Volksbefragung mit einer doppelten Verneinung versehen und zudem missverständlich. Soll die Verlängerung der Linie X, „die in dieser Form nichts zu einer Verbesserung der Verkehrssituation beiträgt“, beschlossen werden? Natürlich nicht!

Soll sich Tirol selbstbewusst für eine Winterolympiade bewerben, die nachhaltig, ökologisch ausgerichtet wird und die (nur) mit weiteren Vorteilen, aber keinen Nachteilen aufwartet? Aber ja! Die anzunehmende Antwort auf Suggestivfragen ist im normalen Kommunikationsverhalten absehbar. Genau darin liegt das Problem einer Frage, die weder neutral noch klar formuliert ist. Es stünde im Wege der Werbung und anderer Kommunikationswege sowohl Politikern, IOC und interessierten Vereinen sowie Unternehmern offen, die Vorteile einer Bewerbung anzusprechen. Aber die Tiroler Landesregierung treibt ein gefährliches Spiel, wenn sie die Technik der suggestiven Fragestellung ausreizt.

Der Autor ist a. o. Univ.-Prof. am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2017)

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