Gastkommentar.

„Die haben Bomben, wir haben Blumen“

Wie ein Vater seinem Sohn die Terrorwelle in Europa und die Terrorismusabwehr zu erklären versucht.

Ein Vater erklärt seinem kleinen Sohn die Anschläge von Paris vom 15. November 2015.
„Die haben Pistolen, aber wir haben Blumen!“
„Das sind böse Menschen“, sagt der Bub. „Und die sind nicht nett! Die Bösewichte haben Pistolen, die können uns erschießen, weil sie sehr böse sind!“
„Die haben Pistolen, aber wir haben Blumen“, entgegnet der Vater.
„Aber Blumen helfen nicht!“, meint der Sohn.
„Selbstverständlich tun sie das“, sagt der Vater, „schau, alle legen Blumen hin. Damit bekämpft man die Pistolen.“

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22. März2016. In Brüssel legen weinende Menschen Blumen nieder, zünden Kerzen an (35 Tote, 300 Verletzte). Das nächtliche Brandenburger Tor erstrahlt in Belgiens Nationalfarben. Ein Vater erklärt seinem Sohn:
„Die haben Bomben, aber wir haben Blumen!“
„Aber was ist mit den Kerzen?“, fragt der Sohn.
„Die erinnern uns an die Menschen, die gestorben sind. Die Blumen und Kerzen beschützen uns“, sagt der Vater.

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14. Juli2016. In Nizza legen Menschen Blumen nieder, zünden Kerzen an (86 Tote, 300 Verletzte). Das Brandenburger Tor trägt die französischen Nationalfarben.
Vater zum Sohn: „Die haben Lastwagen. Aber wir haben Blumen!“

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19. Dezember2016. Berlin, Weihnachtsmarkt, Menschen, Blumen, Kerzen (elf Tote, 55 Verletzte). Das Brandenburger Tor im deutschen Rot-Schwarz-Gold.
Vater zum Sohn: „Die haben Lastwagen, wir haben Blumen!“

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22. März2017. London, Westminster Bridge. Menschen, Blumen, Kerzen (sechs Tote, 40 Verletzte). Das Brandenburger Tor als Union Jack.
Vater zum Sohn: „Die haben Lastwagen und Messer. Aber wir haben Blumen!“

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7. April2017. Stockholm. Menschen, Blumen, Kerzen (fünf Tote, 15 Verletzte). Das Brandenburger Tor in Blau-Gelb.
Vater: „. . . aber wir haben Blumen!“

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22. Mai2017. Manchester, Menschen, Blumen, Kerzen (23 Tote, 116 Verletzte). Brandenburger Tor: Union Jack.
Vater zum Sohn: „Die haben Bomben. Aber wir haben Blumen!“

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3. Juni2017. London, London Bridge (5/48), Union Jack. Vater, Sohn, Blumen, Kerzen.

***
17. August 2017. Barcelona (13 Tote, 50 Verletzte, das Brandenburger Tor im spanischen Rot-Gelb). Ein Vater erklärt seinem Sohn die Anschläge von Barcelona.
„Die haben Lastwagen und Messer, aber wir haben Blumen!“
„Das sind sehr böse Menschen“, sagt der Bub. „Die Bösewichte haben Pistolen, Messer, Lastwagen, die können uns erschießen, erstechen, umfahren und niedermetzeln, weil sie sehr böse sind!“ „Die haben Pistolen, Messer, Lastwagen, aber wir haben Blumen“, entgegnet der Vater.
„Aber Blumen helfen nicht!“, meint der Sohn.
„Selbstverständlich tun sie das“, sagt der Vater, „schau, alle legen Blumen hin. Damit bekämpft man die Pistolen, Messer, Lastwagen.“
„Du, Papa“, sagt der Sohn, „ganz ehrlich, ich möchte auch lieber ein böser Mensch werden!“

Egyd Gstättner (*1962) studierte
Germanistik und Philosophie. Er ist
Schriftsteller und Essayist. Sein jüngster Roman: „Das Freudenhaus. Roman über das absurde Theater“ (Picus-Verlag).

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2017)

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