Gastkommentar

Warum der kleine Mann in Wien so richtig grantig wird

Eine Bilanz der Ära des Wiener Langzeitbürgermeister Michael Häupl.

Die SPÖ hat bei der Nationalratswahl im Oktober Dank Michael Häupl entgegen dem Österreichtrend zugelegt. Wie schon 2015 vor der Wien-Wahl warnte Häupl eindringlich vor der FPÖ, diesmal vor einer Koalition von ÖVP und FPÖ. Nur, was hat er in den zwei Jahren dazwischen gemacht? Warum muss Häupl immer wieder vor der FPÖ beziehungsweise vor einer Koalition ÖVP/FPÖ warnen?

Wer zu oft vor dem bösen blauen oder dem schwarz-blauen Mann warnt, läuft Gefahr, bald nicht mehr ernstgenommen zu werden. Denn die Wähler und Wählerinnen werden sich auf einmal fragen, was Häupl selbst denn gegen diese Gefahr getan habe. Immer nur vor einer Gefahr warnen, diese aber nicht zu beseitigen oder zu bekämpfen, wird als Versagen oder zumindest als passives Verhalten wahrgenommen.

Und schaut man sich die Entwicklung in Wien an, liegt die Vermutung nahe, dass tatsächlich außer „den Teufel an die Wand zu malen“ nicht allzu viel Wirkungsvolles unternommen worden ist. Immerhin ist unter Häupls Regentschaft aber der Aufstieg der FPÖ richtig sichtbar geworden – vor allem in jenen Bezirken, die früher einmal SPÖ-Bollwerke waren. Was ist also schief gelaufen? Hat Häupl die SPÖ-Wähler schlecht behandelt? Oder hat er die Ideale der Sozialdemokratie verraten?

Enormer Schuldenberg

Es scheint so zu sein, dass er einfach zu sehr „in sich geruht“ hat. Nehmen wir die Finanzen: Seit Renate Brauner dieses Ressort leitet, ist der Schuldenberg enorm gewachsen. Oder nehmen wir das Ressort Gesundheit: Sonja Wehsely war für den Neubau des Nordspitals hauptverantwortlich. Die miserable Situation dieses Neubaus ist bekannt, aber anstatt die Konsequenzen zu tragen, wechselte Wehsely zum Hauptauftragnehmer der Stadt Wien, Siemens. Als oberster Chef ist man für alles verantwortlich, also auch für die viel kritisierten Frühpensionierungen innerhalb der Gemeinde Wien und ihrem wirtschaftlichen „Trabanten“, der Wien Holding. Nicht nur die Frühpensionierungen, sondern teilweise auch unverständlich hohe Zusatzpensionen müssen von der Stadt Wien, also den Bürgern, finanziert werden. „Soziale Gerechtigkeit“schaut anders aus!

Versagen im Bildungsbereich

Das alles reicht aber nicht aus, um SPÖ-Wähler in die Arme der FPÖ zu treiben. Denn diese Dinge, interessieren „den kleinen Mann von der Straße“ nicht wirklich. Grantig und illoyal wird dieser kleine Mann aber, wenn er sich in seinem Viertel wie im serbischen, bosnischen, türkischen etc. Ausland vorkommt und seine Kinder in der Schule in der deutschsprachigen Minderheit sind. Es ist leider keine Übertreibung, wenn wutentbrannte Eltern ihre Kinder aus der Schule nehmen und in einen Privatschule schicken wollen, weil es nur noch zwei oder drei deutschsprachige Kinder in der Klasse gibt.

Und dann müssen sie in den Zeitungen lesen, dass Arbeitgeber sich beschweren, dass viele Schulabgänger nicht einmal die einfachsten Rechenbeispiele lösen, geschweige denn ordentliche Sätze schreiben können.

Genau da liegt das Grundproblem: Die Stadt Wien, aber auch der Bund, haben in dem für die Bevölkerung so wichtigen Bereich der Bildung und der Vermeidung von Ghettoisierung, versagt. In Wien ist die Situation besonders schlimm und da bräuchte es einen Bürgermeister, der sich nicht mit flapsigen Interviews herausredet.

Mag sein, dass die eine oder andere Zwischenbilanz Häupls besser ausgesehen hat, gemessen wird man aber an der Endbilanz der „Regentschaft“. Nur die wird in Erinnerung bleiben.

Hans Csokor war von 1976 bis 2009 Geschäftsführer der Publimedia (Publicitas), seither internationaler Medienkonsulent.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2017)

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