Die Verharmlosung des rechten Lagers

Und die ehernen Gesetze rechtskonservativer Publizisten.

Im Fußball ist das Phänomen noch ausgeprägter als in der Politik: Die Zuschauer wissen es immer besser als die Akteure. Ich bin immer wieder erstaunt über das Selbstbewusstsein, mit dem Leute über Dinge urteilen, die sie nicht selbst machen, bei denen sie nicht dabei waren.

So geschehen kürzlich an dieser Stelle, als der rechtskonservative Publizist Herbert Kaspar seine Erinnerungen an den Beginn der schwarz-blauen Koalition ausgrub und über den, wie er meint, Skandal der EU-Sanktionen, die SPÖ, verschiedene angesehene Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Österreich und Europa und letztlich auch mich herzog. Ich habe natürlich nichts gegen Meinungsäußerung. Aber muss sie so subjektiv, so blind auf zumindest einem Auge, so überheblich, so rufschädigend, ja gehässig und damit eigentlich letztklassig sein wie diese?

Es wird ja nicht wahrer, wenn erfundene G'schichteln aus einem Parteisekretariat – „dirty campaining“ nennt man so was heute – aufgewärmt werden, wie von geschredderten Akten und zerstörten Computern bei Amtsübergaben im Jahr 2000. Ich weiß, was war. Ich weiß, dass in meinem Ministerium keine Akten geschreddert wurden, weil die samt und sonders in den Abteilungen und Sektionen waren. Ich weiß auch, dass es keine beschädigten Computer gab, wir haben allerdings unsere Korrespondenz mit Parteifreunden gelöscht. Dafür wird man wohl Verständnis haben. Dagegen hätte sich 2006 ein Blick in jene Ministerien gelohnt, welche die ÖVP an die SPÖ übergeben musste – da waren vielerorts überhaupt keine Computer mehr, nicht ein Bleistift. Dem neuen Regierungs„partner“ SPÖ den Start möglichst schwer machen, war offensichtlich die Devise.

Wahrer durch Wiederholung wird auch nicht die Geschichte, dass die SPÖ ebenso ernsthaft wie die ÖVP an eine Koalition mit der FPÖ gedacht habe. Ja, unser Parteifreund Schlögl hat auch später damit geliebäugelt. Aber für die SPÖ war das nur eine taktische Variante in den Verhandlungen, es hätte in der Partei keine Zustimmung dafür gegeben. Und Faktum ist: Die SPÖ ist eine solche Koalition nicht eingegangen, die ÖVP schon. Mit einer FPÖ, die immer wieder an das rechtsextreme, antidemokratische, ja rassistische Lager in Europa anstreift oder, wie der Dritte Nationalratspräsident, mittendrin steht – mit einer solchen Partei koaliert die SPÖ nicht, selbst um den Preis, dadurch weniger Optionen zu haben als die ÖVP, die da offensichtlich weniger Probleme hat. Es mag ja Josef Pröll gelingen, als freundlicher und umtriebiger Christlichsozialer dazustehen, im Parlamentsklub der ÖVP hängt aber immer noch das Bild jenes Bundeskanzlers, der 1933 in Österreich zuerst das Parlament und 1934 mit Waffengewalt die Demokratie ausschaltete, Engelbert Dollfuß. Was verbindet die ÖVP immer noch mit diesem Mann und seiner Politik?

Regierungschaos bis 2006

Genau diese Verharmlosung des rechten Lagers gab es auch in der Zwischenkriegszeit, in Österreich wie auch in Deutschland. Den Bürgerlichen waren die Rechten als Partner gegen die Linken willkommen, die eine gerechtere Verteilung des Erwirtschafteten verlangten, Reformen in der Bildung, im Sozial- und Gesundheitswesen, die herrschende Ordnung von Macht, Geld und Privilegien einfach in Frage stellten.

Auch in den Jahren ab 2000 schien Schwarz-Blau wenig Interesse zu haben an sozialpartnerschaftlichem Interessenausgleich, einem gemeinsamem Arbeiten für Fortschritt, Wohlstand und Gerechtigkeit. Beschädigt haben das Ansehen Österreichs daher nicht die „Sanktionen“ der EU, wie der Autor meint, beschädigt hat das Ansehen die ÖVP durch ihre Koalition mit einer FPÖ, die damals offen mit rechtsextremen Parteien in Europa Kontakte hatte und suchte. Und auch das Regierungschaos der folgenden Jahre bis 2006. Der Gipfelpunkt dabei ist, ausgerechnet einen großen Europäer wie den luxemburgischen Regierungschef, Jean-Claude Juncker, zum Kronzeugen machen zu wollen, ein Mann, der unglaublich viel zum Zusammenwachsen Europas geleistet hat. Ich kenne Juncker persönlich, wir schätzen einander, er war damals wie ich Finanzminister, ist ein hochintelligenter und integrer Mann. Obwohl kein Sozialdemokrat, hat er erkannt und ausgesprochen, dass diese rechtskonservative Koalition ein Fehler war.

Die Jahre dieser Koalition brachten viele politische Maßnahmen und Ereignisse, an die sich die meisten Menschen in unserem Land nicht gerne zurückerinnern. Viele hatten Nachteile, mussten Kürzungen ihrer Einkommen hinnehmen, während öffentliches Eigentum an reiche Privatiers verscherbelt wurde, Manager immer unverschämter in die Kassen der Unternehmen griffen und zahllose gutgläubige Anleger zu riskanten Finanzgeschäften verleitet wurden. Was war denn der Fortschritt dieser Jahre? Dass die Menschen nach den Regeln des Marktes noch rücksichtsloser miteinander umgehen? Dass unzählige Menschen draufgekommen sind, dass die Börse ein Casino ist? Dass es sich die Reichen und Mächtigen noch leichter richten? Es ist kein Zufall, dass diese Koalition 2006 ganz klar abgewählt wurde. Die Menschen haben den Schaden erkannt, den diese Regierung verursacht hatte. Sich mit dem Holzhammer dennoch sein eigenes Geschichtsbild zurechtzimmern ist zwar menschlich verständlich, zeugt aber mehr von Engstirnigkeit als die Fähigkeit, Fehler einzugestehen.

Rudolf Edlinger war von 1997 bis 2000 Bundesminister für Finanzen unter Kanzler Viktor Klima. Seit 2001 ist er Präsident von Rapid Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2010)

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