Auch im Leid nie allein

Die Legalisierung der Sterbehilfe würde in die falsche Richtung führen.

In den letzten Tagen hat eine neue Studie der Med-Uni Graz aufhorchen lassen. 62% der Befragten sind für die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe (2000 waren es erst 49%). 62% der Österreicher meinen also, wenn ein Mensch zu sehr an seinen Krankheiten leidet, sollte ihm die Möglichkeit gegeben werden, mit ärztlicher Hilfe „Schluss zu machen“.

Einerseits ist diese Haltung verständlich. Wir leben heute viel länger als früher, und trotz aller medizinischer Fortschritte ist für viele Menschen das Alter mit Schmerzen und Leiden verbunden. Was läge da näher, als jedem selbst die Entscheidung darüber anheimzustellen, wann es „genug ist“? Ich kann diese Position gut verstehen.

Und doch warnt die katholische Kirche aufs Dringlichste vor diesem Schritt. Denn er ist nur der erste. Wie groß kann der Druck auf alte und kranke Menschen werden, ihren Angehörigen nicht mehr endlos zur Last zu fallen, wenn aktive Sterbehilfe üblich geworden ist? Wie häufig sind es gar nicht mehr die Kranken selbst, die letztendlich eine Entscheidung über Leben und Tod treffen müssen – sondern oft wohlmeinende Angehörige? Wie bald werden sich Pflegefälle vielleicht gar nicht mehr wehren können gegen eine mitleidsvolle „Euthanasierung“, so wie in Holland, wo alte Menschen angeben, in gewisse Krankenhäuser gar nicht erst gehen zu wollen, denn da gehe es oft ganz schnell.

Zudem: Es ist leicht, eine solche Ansicht bei einer Umfrage zu vertreten. Wer jedoch selbst nahe Angehörige pflegt, denkt oft schon anders. Ob man zudem immer um die genauen Wünsche eines Kranken weiß, ist fraglich. Dieser Tage erschüttert uns das Beispiel des bekannten Intellektuellen Walter Jens in Deutschland, der sich stets rückhaltlos für Sterbehilfe eingesetzt hat, sobald ein intellektueller Austausch nicht mehr möglich sei– und der jetzt, im Stadium schwerer Demenz, verzweifelt um sein Leben fleht: „Nicht totmachen“, ruft er immer wieder. So bezeugt es seine Frau Inge.

Berührende Bilder

Hinter der Diskussion um aktive Sterbehilfe steht letzten Endes unser aller Bild vom Menschen – vor allem vom Leidenden und Sterbenden. Ist noch Platz für diese Realität des Lebens, die aus Werbung, Film und öffentlichem Bewusstsein ganz verdrängt wird – und doch jeden von uns immer wieder einholt? Wie brutal erschienen damals die Bilder des kranken Papstes Johannes Paul II. in den Medien – und wie tief berührten sie doch hunderttausende von Jugendlichen?

Das ist die Tiefe der christlichen Botschaft: Auch im Leid, auch im Sterben ist der Mensch nie allein, er ist zutiefst in der Hand Gottes, hier kann ihm Christus so nahe kommen wie sonst selten im Leben. Das Leiden hat einen Sinn, gehört zum Menschen dazu.

Zugegeben, man kann auch in ein anderes Extrem verfallen. In unserem hoch entwickelten Gesundheitswesen werden oft gigantische Mittel aufgewendet, um das Leben um jeden, auch jeden übertriebenen Preis zu verlängern. Solch ein Leben, das mit Ausschöpfung aller Möglichkeiten künstlich verlängert wird, ein Leben, das dem natürlichen Sterben keinen Raum lässt, ist auch kein Ausdruck der Würde des Menschen. Papst Johannes Paul II. sprach in diesem Zusammenhang von „medizinischem Übereifer“. Ohne Zweifel bedeuten manche Situationen eine hohe Herausforderung für Ärzte, die die Verhältnismäßigkeit mancher Therapien sehr wohl abwägen müssen, niemals aber töten dürfen. Die Zulassung der aktiven Sterbehilfe würde eine Straße eröffnen, die in eine verhängnisvolle Richtung führt.

Darum geht es letzen Endes: Das Leben hat seine Würde von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Tod. Denn es ruht letztlich in Gottes Hand.

DDr. Klaus Küng (geb. am 17. September 1940 in Bregenz) ist Diözesanbischof in St. Pölten. Er war Österreich-Chef des Opus Dei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2010)

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