Eine Rehabilitierung wird schwierig

Zur Debatte um die Opfer des Austrofaschismus.

Erneut kreist die Diskussion um den Begriff „Faschismus“. Zuletzt fragte Harald Walser („Presse“, 18. 2.), wie sonst man ein System nennen soll, das Parteien verbot, Parlament und Verfassungsgerichtshof lahmlegte, politische Gegner in Lager steckte? Nun, wie wäre es mit Diktatur? Zwar ist jeder „Faschismus“ Diktatur, aber nicht jede Diktatur ist „Faschismus“.

Dem autoritären „Ständestaat“ fehlten wesentliche Merkmale des „klassischen“ Faschismus, andere waren nur ansatzweise vorhanden. Abseits der Heimwehren wollten seine Proponenten keinen „Faschismus“ etablieren, sondern eine Alternative zu ihm. Dafür kam ihnen die Sozialenzyklika Quadragesimo anno 1932 sehr zupass: Als Alternative zu den Parteien- und Klassenkämpfen der Zeit regte Pius XI. an, dass sich wesentliche gesellschaftliche Gruppen als „Stände“ selbst organisieren und Hauptakteure politischer Prozesse werden, nicht zuletzt, um den übermächtigen Staat in seine Schranken zu weisen.

Der österreichische „Ständestaat“ kam über Ansätze dieses hehren Modells nicht hinaus. Es reichte letztlich nur für eine „Kanzlerdiktatur“. Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg haben ihre Vergleichsgrößen damit nicht in Mussolini oder gar Hitler, sondern in Polens Józef Piłsudski oder Ungarns Miklós Horthy, vor allem aber in Portugals Diktator António de Oliveira Salazar. Sie verstanden sich gleichsam als „Präventivdiktatoren“, um „Schlimmeres“ von rechts und links abzuwehren.

Braune Gefahr

Die sachlich-begriffliche Differenzierung rechtfertigt natürlich keine der Gewaltakte diktatorischer Regime. Gerade das Beispiel Österreich zeigt aber, dass sich eine formelle Rehabilitierung sehr schwierig gestalten dürfte. Die neu zugänglichen vatikanischen Quellen, die im Rahmen eines Projekts an der Universität Wien ausgewertet werden, lassen erkennen, wie sehr die „braune Gefahr“ das Denken und Handeln der katholischen Rechten bereits ab 1932 bestimmt hat. Im Jahr zuvor hatten die Sozialdemokraten ein Koalitionsangebot ausgeschlagen; die Landtagswahlen von 1932 in Wien, Niederösterreich, Salzburg, der Steiermark und Kärnten gestalteten sich zu Siegeszügen der NSDAP. Erst recht erhielt die NS-Bewegung durch die Kanzlerschaft Hitlers ab 1933 enormen Aufschwung: Österreich wurde mit einer Welle terroristischer Anschläge überzogen; die Tausend-Mark-Sperre sollte das Land wirtschaftlich zermürben. Mit dem Reichskonkordat desselben Jahres kam auch die kirchlich-weltanschauliche Abwehrfront in arge Bedrängnis. Die heimischen Bischöfe ersuchten Rom im Sommer 1933 geradezu flehentlich, die „NS-Irrtümer“ feierlich zu verurteilen.

Die Kirchenzentrale versagte sich dieser Bitte mit einer Formel, mit der sie später noch mehrfach ihr „Schweigen“ begründete: Die Sache sei „molto delicato“ – sprich: gesamtpolitisch zu heikel. Von daher kann man sich den Ausgang allfälliger Parlamentswahlen 1933 oder 1934 leicht ausmalen. Nicht ausmalen möchte man sich aber die Folgen eines schon 1935 oder 1936 vollzogenen „Anschlusses“: Die dann viel gründlichere Eingliederung ins „Reich“ hätte das Kriegsende wohl überdauert.

Was also, wenn nicht nur „einige Nazis“ von der Rehabilitierung auszunehmen wären, sondern der Großteil der Betroffenen? Mit Ausnahme des unseligen Februar 1934 dominierten vermutlich NS-Straftaten die politischen Verfahren bei Weitem.

Statt sich in symbolischen Akten zu verzetteln oder gar neues Salz in alte Wunden zu streuen, sollten konstruktive Kräfte aller „Lager“ besser darangehen, wenigstens diesen Teil unserer gemeinsamen Vergangenheit so aufzuarbeiten, dass sie gedeihliche politische Arbeit der Gegenwart nicht länger behindert. Diese hat nämlich an neuen Herausforderungen keinen Mangel.

Ao. Univ.-Prof. DDr. Rupert Klieber (geboren 1958) forscht und lehrt seit 1994 am Institut für Kirchengeschichte der Universität Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2010)

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