Es gab nie eine bessere Zeit für Journalismus

Wie Medien das Jahr 2043 überleben: Sechs Vorschläge.

Das journalistische Ego ist in der Krise. Auf Einladung vom Medienhaus Wien diskutierten renommierte Forscher und Praktiker aus einem Dutzend Ländern über „Journalism 2020“. Welche Zukunft geben sie ihm?

1.Zum Beispiel jene: Journalisten müssen kommunizieren. Nicht Inhalte an ein Publikum, sondern über Inhalte mit ihrem Publikum. Denn das sind zunehmend „Digital Natives“, aufgewachsen in einer Internetwelt, in der sie nicht auf das Wohlwollen von Leserbriefredaktionen angewiesen sind, sondern in der sie selbst als „ProdUser“ Inhalte mitgestalten. Als „Mutualized Newspaper“ – eine gemeinschaftlich hergestellte Zeitung – präsentiert etwa Chefredakteur Alan Rusbridger seinen britischen Guardian. Der ist ein Eisbrecher für ein neues Journalismus-Selbstverständnis. Rusbridger erklärt, wie für seine Redaktion 20.000 Freiwillige 170.000 Dokumente zum Spesenskandal im britischen Parlament innerhalb von 80 Stunden online sichten. Die User finden in den Belegen die „Nadel im Heuhaufen“, die Journalisten recherchieren nach, moderieren, erzählen die Geschichte. Das Ergebnis ist gar nicht gut für einzelne Spesenritter unter Englands Mandataren, erfreulich für die Demokratie, ein schöner, gemeinsamer Erfolg für den Guardian und sein Publikum.

Traditionelle Tugenden mit Zukunft

2.Der ProdUser kommentiert aber auch – und er kritisiert. Deshalb brauchen Journalisten mehr denn je auch die „alten“ Tugenden. Nicht Inhalt ist Mangelware, sondern Aufmerksamkeit und Vertrauen. 2043 erscheine die letzte Zeitung, soll Phil Meyer, Doyen der US-Journalismusforschung, in seinem Buch „The Vanishing Newspaper“ 2004 prophezeit haben. Weltweit finden sich dazu tausende Zitierungen. Schuld sei Rupert Murdoch, erzählt Meyer bei der Wiener Konferenz. Der Medienmogul habe ihn missverständlich zitiert. Das theoretische Todesjahr 2043 für Zeitungen stimme ja nur dann, wenn eben alles unverändert weiter ginge. Aber so schmunzelt Meyer: „Verleger sind stur, aber so stur, dass sie bis zum letzten Leser noch ein letztes Exemplar der letzten Zeitung drucken, so stur sind sie nicht.“ Die schlechte Nachricht wäre dann also: Ohne Innovation liegt das Ende der Zeitung sogar noch viel näher. Die Gute: Man könne dem Journalismus und Medienhäusern auch Lernfähigkeit zubilligen, damit die Kurve eben nicht stetig weiter nach unten geht. Massenmedien mit Strategien aus der Mitte des 20. Jahrhunderts sind tatsächlich in der Krise. Der Journalismus, so herrscht unter den Experten Einigkeit, ist es nur dann, wenn er seine Grundlagen missachtet: Sachkundige und auch investigative Recherche, interessante Aufbereitung von geprüften Inhalten. Diese traditionellen Tugenden haben Zukunft.

3.Es gibt viele Kanäle, schnellen Zugang zum Publikum, auch zu seinem Wissen, seinem Feedback, seinen korrigierenden Anmerkungen. Die Publikation von Text, Bild, Ton ist einfacher geworden. Journalismus muss diese Möglichkeiten nutzen und den jeweils besten Übertragungsweg für den Inhalt wählen. Antoni Piqué, Medienberater für große Medienunternehmen in Südamerika, erzählt das Beispiel einer neuen Redaktion in Brasilien: Sie widmet sich samt und sonders dem Sport, diskutiert ihre vielen Inhalte – und erst danach, was davon in Zeitung, Fernsehen, Radio und Web wie erscheinen soll. Eine Erfolgsstory: Der brasilianische Sportjournalismus dieser neu gegründeten Gruppe findet ein Millionenpublikum als User, Leser, Seher, Hörer. Entscheidend ist der Inhalt. Für den Vertrieb aber gilt: Der Kanal ist egal.

4.Es gab nie eine bessere Zeit für Journalismus, aber schon lange keine schlechtere für Journalismus als gesicherte Profession. Die Frage der Finanzierung bedarf noch vieler Diskussionen. An Ideen und Experimenten fehlt es keineswegs. Für die großen Medienmarken wird Investition in Glaubwürdigkeit und Kompetenz noch stärker zum Verkaufsargument. Wer im Internet nur Billigprodukte lanciert hat, sagt „Zeit Online“-Chef Wolfgang Blau, braucht nicht entsetzt zu sein, wenn es keinen Return of Investment gibt. Mutige Versuche sind notwendig. Experimentiert wird mit „Content-Abos“ zum Beispiel von der deutschen „Welt“: Die Inhalte sind dann wahlweise in der Sonntagszeitung, im Web oder auch auf der iPhone-App zu konsumieren. Schon länger wird von starken Marken versucht, über „Line Extensions“ neue Einnahmen zu erschließen: Mit Medienshops und Clubs für Bücher, Wein oder Musik.

5.Die Herausforderungen betreffen nicht zuletzt Medienpolitik. Auch diese agiert als Regulator mit Eigeninteressen meist noch sehr traditionell. Sie muss noch mehr auf Qualitätsförderung setzen, konvergent denken lernen, massive Investitionen in Forschung, Ausbildung, Weiterbildung und Vermittlung von Media-Literacy für alle Bürger setzen, statt auf Katastrophenhilfe und Gunstbeweise für (einzelne) etablierte Medienunternehmen.

6.Die Konferenz zur Journalismus-Zukunft fand in Wiener Konferenzsälen statt. Zurück auf das harte Pflaster der Stadt zeigt Österreichs Medienrealität, dass allzu viel Aufgeregtheit nicht angemessen scheint. Bleibt doch alles beim Alten? Die „Kronen Zeitung“ wacht unerbittlich über die ethischen Standards im Politik-Medien-Beziehungsgeflecht, notfalls notariell beglaubigt. Die Zahl der täglichen Zeitungsleser hat laut druckfrischer Media-Analyse sogar wieder zugenommen. Die meisten Printmedien jubeln diese Woche über Lesergewinne. Zeitungsverleger und Gewerkschaft teilen mit, dass sie nunmehr „Modellfälle“ rechnen, damit vielleicht noch 2010 ein gemeinsamer Kollektivvertrag für Print- und Onlinejournalisten kommt. Die werden einander dann unweigerlich näher kennenlernen. Na dann.

Andy Kaltenbrunner ist Medienberater.

Matthias Karmasin ist Professor für Medienwissenschaften. Daniela Kraus ist Historikerin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2010)

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