Jung, gebildet, weiblich sucht Chancen

(c) Peter Kufner
  • Drucken

Arbeitsmarkt. Österreich fehlt es an mutiger Gleichstellungspolitik, das spiegelt sich im noch immer traditionellen Wertebild des Landes wider.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

Die Ergebnisse der Europäischen Wertestudie zeichnen ein traditionelles Bild unseres Landes: Die Österreicher ziehen sich verstärkt ins Mikrosoziale, in Beruf und Familie, zurück und schätzen klassische Rollenverteilung. Suchen wir in unsicher werdenden Zeiten Halt im Neo-Biedermeier, oder erleben wir die Folgen fehlender Gleichstellungspolitik?

Alle zehn Jahre wird die Europäische Wertestudie in vielen europäischen Ländern durchgeführt. Die neuesten Ergebnisse, welche vor Kurzem an der Universität Wien präsentiert wurden, legen eine Re-Traditionalisierung des österreichischen Wertebilds nahe. Hierzulande dominiert das, was die Sozialwissenschaften als das „Mikrosoziale“ bezeichnen: Beruf, Partnerschaft und Familie.

Arbeit verliert an Bedeutung als Lebenssphäre, gleichzeitig hat ihre subjektive Wertigkeit zugenommen. Es reicht nicht mehr aus, einen Job und ein sicheres Einkommen zu haben – der Beruf soll zur Persönlichkeitsentfaltung und Selbstverwirklichung beitragen. Dementsprechend hoch sind die Anforderungen, die die Österreicherinnen und Österreicher an ihre Arbeit stellen: Im Vergleich zu den Vorjahren sind „angenehme Arbeitszeiten“ besonders wichtig geworden. Einen Beruf mit Verantwortung auszuüben schätzt die Hälfte der Befragten, jeder Dritte findet es aber gut, die Arbeit weniger wichtig zu nehmen. Zusammengefasst will man zwar weniger arbeiten, aber im Beruf mehr Sinnstiftung erfahren. Besonders die jüngere Generation fordert die viel zitierte Work-Life-Balance ein, auch oder gerade deshalb, weil sich durch digitale Erreichbarkeit, steigende Mobilität und Internationalisierung eine zunehmende Entgrenzung zwischen Arbeit und anderen Lebensbereichen zeigt.

Die Familie ist weiterhin der wichtigste Wert der Österreicherinnen und Österreicher, gleichzeitig haben Freizeit und Freunde an Bedeutung gewonnen. Deutlich weniger Befragte als noch im Jahr 2008 stimmen der Aussage zu, die Ehe sei eine überholte Institution – was eventuell auch durch den Diskurs zur Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare bedingt ist. Als Faktoren für eine gelungene Ehe rangieren weiterhin Werte wie „Treue“ und „Kinder“ weit oben.

Traditionelle Rollenbilder

Im Vergleich zu früheren Befragungswellen finden mehr der befragten Österreicherinnen und Österreicher ein „angemessenes Einkommen“ wichtig, während das „Teilen von Hausarbeit“ an Bedeutung verliert. Demgemäß ist auch die Zustimmung zur traditionellen Rollenverteilung hoch: Rund zwei Drittel der Österreicherinnen und Österreicher sind der Meinung, dass das Familienleben leidet, wenn die Frau Vollzeit berufstätig ist. Der generellen Berufstätigkeit von Müttern steht die Hälfte der Befragten skeptisch gegenüber.

Angesichts einer sich rapide verändernden Arbeitswelt, zunehmenden Leistungsdrucks und Entsolidarisierungstendenzen in der postindustriellen Gesellschaft, steigender ethnischer und kultureller Pluralität und einer Kakofonie an globalen Krisen und Konflikten wundert der Rückzug ins Private kaum. Die Rückbesinnung auf sicherheitsgebende Institutionen wie Ehe und Familie gibt Halt. Die steigende Wertigkeit dieser Lebensbereiche führt aber auch zur Frage, wie viel Zeit und Energie für die großen gesellschaftlichen Fragen und die Sorge um das Gemeinwesen bleiben. Nun hat Politik, ähnlich wie Religion, im Wertebild der Österreicher nie besonders große Relevanz erlangt, auch wenn die Zufriedenheit mit dem politischen System und das Vertrauen in Institutionen zuletzt gestiegen sind. Letzteres kann aber auch als Indiz dafür genommen werden, dass aufgrund wachsender Komplexität und Individualisierung die Beschäftigung mit dem Makrosozialen, von Solidarität bis Sicherheit, an öffentliche Institutionen ausgelagert wird. Das erstarkte zivilgesellschaftliche Engagement im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 scheint rückläufig zu sein, wie die Zahl der abgesetzten Spenden an Sozialorganisationen zeigt.

Dabei ist es gerade in Zeiten mannigfaltiger globaler und nationaler Herausforderungen geboten, politische Partizipation und Bürgerbeteiligung als Gegenbewegung zur Privatisierung mikrosozialer Lebensfelder zu fördern. Das betrifft vor allem jene Gruppe, der man noch vor Kurzem das neue Jahrtausend als das ihre zugeschrieben hat: junge, gebildete Frauen, die sich von den Rollenklischees vergangener Generationen befreien und nicht mehr die vermeintliche Wahl zwischen Beruf und Familie treffen müssen, sondern sich selbstbewusst ihren Platz in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft erkämpfen. Das ist nicht nur ein feministischer, sondern ein gesamtgesellschaftlicher Anspruch: So ist etwa die Bildungsvererbung in Österreich weiterhin hoch, weshalb Investition in die Bildung von Frauen quasi die doppelte Rendite bringt. Ihr Bildungsniveau entscheidet maßgeblich, welchen Schulabschluss ihre Kinder später erreichen werden. Die alte Regel, dass Frauen bildungstechnisch „hinauf“ heiraten und Männer (um den eigenen Status zu wahren) „hinunter“, gilt nicht mehr: Der Anteil an Eheschließungen, in denen die Frau höher gebildet ist als der Mann, hat sich mittlerweile an das Niveau der umgekehrten Konstellation angeglichen, vorrangig durch die weibliche Bildungsexpansion bedingt.

Gut gebildet, doch ausgebremst

Dieser größer werdenden Gruppe an jungen, gut ausgebildeten Frauen werden aber nicht jene strukturellen Rahmenbedingungen geboten, die sie benötigen, um ihr Potenzial entfalten zu können. Der mangelnde Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen, vor allem im ländlichen Raum, führt zu einer rapide steigenden Teilzeitquote: Arbeiteten im Jahr 1985 noch 16 % aller erwerbstätigen Frauen in einem Teilzeitjob, so sind es 2017 knappe 48 %. Das hat weniger Aufstiegschancen, vermehrt unqualifizierte Tätigkeiten und fehlende soziale Absicherung im Alter zur Folge. Im Bereich der Väterbeteiligung tut sich, abgesehen vom symbolischen Papamonat, wenig. Aufgrund der weiterhin großen Einkommensunterschiede bleibt die Väterkarenz ein unattraktives Modell. Mit einem Gender Pay Gap von 20 % liegt Österreich im europäischen Spitzenfeld.

Österreich fehlt es an mutiger Gleichstellungspolitik, und das spiegelt sich im Wertebild des Landes wider: Frauen passen ihre Erwerbsarbeit an das Familienleben und die Kinderbetreuung an, während sich das Erwerbsleben der Männer durch die Übernahme familiärer Pflichten bisher kaum geändert hat. Die Mehrfachbelastung im derzeitigen System, gepaart mit dem generellen Bedeutungsverlust von Arbeit und dem Wunsch nach mehr Freizeit, ist ein zentraler Faktor für die klassische Rollenverteilung in vielen (Jung-)Familien. Nicht nur in der Wirtschaft, auch in der Politik, und zwar auf allen Ebenen, braucht es weibliches Engagement, um genau diese fehlenden Rahmenbedingungen zu benennen. Solange diese aber ausbleiben, fehlt es dafür an Zeit, Energie und Interesse – ein Teufelskreis, der nur mit viel politischem Willen durchbrochen werden kann.

Die Autorin

Judith Kohlenberger (*1986), ist wiss. Mitarbeiterin am Institut für Sozialpolitik der Wirtschaftsuniversität Wien und am Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital (IIASA, VID/ÖAW, WU). Sie forscht zu Fluchtmigration, Geschlecht und Integration und lehrt an der Universität Wien und der FH Wien.
Twitter: @J_Kohlenberger.

Weiterführende Links: Forschungsverbund Interdisziplinäre Werteforschung/Uni Wien. Publikation „Quo vadis, Österreich: Wertewandel zw. 1990 und 2018“ (Hg. Chr. Friesl, Julian Aichholzer, S. Hajdinjak, S. Kritzinger).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.