In den Schluchten des Balkans

Am Mittwoch fand in Sarajewo die EU-Westbalkan-Ministerkonferenz statt. Doch die Balkan-Politik ist gescheitert.

Vielleicht sind die Lektürevorlieben des niederösterreichischen Landeshauptmannes Erwin Pröll doch nicht so abwegig. Zumindest seinem Parteikollegen Bundesminister Spindelegger sind die Werke Karl Mays – insbesondere der Orientzyklus und hier im Speziellen „In den Schluchten des Balkans“ sowie „Der Schut“ – nachdrücklich ans Herz gelegt. Wie es aber scheint, sind sie nicht Teil seiner Reiselektüre. Jedenfalls, wenn man seine Balkan-Politik näher analysiert.

Vorherrschend hier: eine Mischung aus Roda-Roda-Garnisonsromantik gepaart mit dem Jubelsprech einschlägiger Informationsbroschüren heimischer Banken mit starkem Osteuropa-Engagement. Anders ist das auffallende Aus-dem-Fenster-Lehnen der sonst inexistenten österreichischen Außenpolitik im Bereich (West-)Balkan nicht zu verstehen. Offensichtlich glaubt man in Wien noch immer, der ausgewiesene Experte und erste Ansprechpartner für diesen Teil der Welt zu sein. Und das bei einer Balkan-Abteilung, die nur noch aus einem Abteilungsleiter, Praktikanten und Voluntären besteht, die miserabel und im zweiten Fall überhaupt nicht bezahlt werden (wie unlängst vom Wiener Politikprofessor Helmut Kramer in einem empfehlenswerten Artikel zur Stagnation und Krise der österreichischen Außenpolitik etwa aufgezeigt).

Monarchie-Nostalgie

Der politische Eiertanz um den sogenannten Westbalkan – übrigens eine terminologische Totgeburt, welche die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien (reduziert um Slowenien) ergänzt um Albanien beschreiben soll – wird zunehmend unverständlich. Da ist einerseits die Gruppierung derer, die diese Staaten lieber heute als morgen als Vollmitglieder der EU sehen würden. An der Spitze Österreich, das in einer Mischung aus Monarchie-Nostalgie und einer eigenartigen Klondike-Stimmung zur Erschließung neuer Absatzmärkte doch tatsächlich noch immer davon träumt, eine Art Führungsrolle in Mittel-, Ost- und Zentraleuropa zu übernehmen.

Dabei wird geflissentlich übersehen, dass dieser Zug längst und unwiederbringlich abgefahren ist. Oder das Vereinigte Königreich, welches durch immer neue Erweiterungsrunden die Möglichkeit sieht, eine Vertiefung der EU zu torpedieren. Und schließlich die ewigen Friedensromantiker, welche doch tatsächlich glauben, man müsste die Staaten des Westbalkans bloß in den Schoß der EU führen, und automatisch sind alle Konflikte gelöst – die Mär vom großen Friedensprojekt EU auf den Lippen führend. Nicht bedenkend, dass der Prozess der Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland so einzigartig ist, dass er eben nicht eins zu eins dafür verwendet werden kann, auch andere davon abzuhalten, sich die Köpfe einzuschlagen.

Noch bedenklicher ist jedoch die Gruppe derer, die einfach zusehen und die EU-Mitgliedschaftsbefürworter einfach machen lassen. Man sollte denken, dass die letzte EU-Erweiterungsrunde doch genügend Probleme geschaffen hat. Aber nein. Es wird fröhlich weiter versprochen und unrealistische Erwartungen werden bei den betroffenen Staaten geschürt.

Wann getraut sich endlich jemand aufzustehen und klar auszusprechen, was wohl die (stillschweigende) Mehrheit längst erkannt hat: Die EU ist mit ihrer Balkan-Politik gescheitert. Es werden Unsummen für angebliche Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung ausgegeben. In Wirklichkeit erkauft man sich damit lediglich eine Art Waffenstillstand.

Speziell die Zustände im Kosovo wie auch in Bosnien-Herzegowina zeigen, dass die ursprünglichen, bereits Jahrzehnte vorherrschenden Probleme weiter bestehen. Glaubt noch wirklich jemand, dass die Etablierung des Hohen Repräsentanten der Staatengemeinschaft in Bosnien-Herzegowina eine Erfolgsgeschichte ist? In Wahrheit hat man eine Art Vizekönig geschaffen, der ein künstliches Staatengebilde mittels Zwangsverwaltungsakten zusammenhält.

Und in dieser Situation schwadroniert der aktuelle „Vizekönig“ (Valentin Inzko, übrigens nach Wolfgang Petritsch bereits der zweite Österreicher auf diesem Posten) abgehoben davon, dass Bosnien-Herzegowina in der EU willkommen sei. Welch eine Verkennung der Realität! Die schon lange überfälligen Konzepte, wie man sich halbwegs ehrenhaft und unter Wahrung seines politischen Gesichts aus diesem Nichtstaat zurückziehen kann, bleibt er schuldig.

All diese Dinge werden selbstverständlich nicht Gegenstand der am Mittwoch in Sarajewo stattgefundenen EU-Westbalkan Ministerkonferenz gewesen sein (48 Delegationen, EU-Außenrepräsentantin Ashton, EU- und Westbalkan-Außenminister, ergänzt um Vertreter der USA, Russlands, der Türkei sowie zahlreiche internationale Organisationen).

Was macht Erhard Busek?

Aufseiten der EU-Mitgliedstaaten ist man ein bisschen verstimmt, dass Frau Ashton ihren eigenen Westbalkan-Beauftragten etablieren will (ohne vorheriges Postengeschacher – Minister Spindelegger blickt betroffen in die Kamera, und der interessierte Bürger fragt sich umgehend: Was macht eigentlich Erhard Busek?). Die große Linie jedoch steht unverrückt. Erweiterungskommissar Stefan Füle bekräftigt die grundsätzliche Erweiterungs- und Aufnahmebereitschaft der EU und erinnert die betroffenen Staaten nebenbei daran, dass noch ein paar Hausaufgaben ihrerseits zu erledigen sind. Die internationale Staatengemeinschaft begrüßt dies – ein potenzieller Krisenherd weniger, um den man sich kümmern muss, sobald man ihn der EU umgehängt hat. Und der einfache Bürger staunt über so viel Verlogenheit und Uneinsichtigkeit seiner politischen Vertreter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2010)

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