Thomas Bernhard, Israel und der Iran

Bei Faymanns Reise nach Israel wird die Frage aktuell, wie Wien zum Atomprogramm Teherans steht, das Israel, die jüdische Diaspora und die Sicherheit des Westens bedroht.

Die Konstellation dreier österreichisch-israelischer Geschehnisse im April, Mai und Juni erinnert an den Anfang des Buches „Wittgensteins Neffe“, in dem der Autor Thomas Bernhard im Krankenhaus gegen eine heftige Lungenkrankheit und zeitgleich Israel während des Sechstagekrieges 1967 ums Überleben kämpft. Ob Bernhard die Gleichsetzung von Israels Verteidigungskrieg gegen feindliche arabische Staaten mit seiner lebensgefährlichen Krankheit intendiert hat, bleibt ein Thema für die Literaturwissenschaft. Aber eine ähnliche Parallele gibt es angesichts der ernsten nuklearen Bedrohung durch die Islamische Republik Iran für Israel, für die jüdische Diaspora und die Sicherheit des Westens.

Das ist die Erklärung für das erste Ereignis, eine Welle an Empörung und Kritik anlässlich des Österreich-Besuches des iranischen Außenministers Manouchehr Mottaki im April. Mottaki vertritt ein Regime, das sich von einer toxischen Mischung aus Holocaust-Leugnung, einem illegalen Atomprogramm und der Unterdrückung der iranischen Demokratiebewegung speist. Österreichs Außenminister Michael Spindelegger (VP) besteht auf den „Dialog“ mit dem iranischen Regime. Aber sieben Jahre EU-Diplomatie und Dialog haben bislang als einziges Ergebnis Teheran Zeit verschafft, das Atomprogramm mit offensichtlicher Nuklearwaffenoption voranzutreiben.

Statt Mottaki auf internationaler Bühne salonfähig zu machen, hätte man ihn weiter isolieren müssen. Spätestens seit Mottakis absurdem Theater auf der Münchner Sicherheitskonferenz im vergangenen Januar sollte es für alle Diplomaten glasklar sein, dass der Iran den Dialog als Verzögerungstaktik benutzt, um entgegen mehrerer UN-Sicherheitsratsresolutionen an seinem Atomprogramm weiterarbeiten zu können.

Das zweite Ereignis dreht sich nicht nur um Außenpolitik, sondern auch um Österreichs innenpolitische und historische Haltung gegenüber dem Holocaust und der Bekämpfung des Antisemitismus. Ariel Muzicant, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), sorgte für Schlagzeilen in Österreich und Israel, als er sich im Mai entschied, aus Protest gegen die pro-iranische Politik der österreichischen Regierung der Mauthausen-Gedenkveranstaltung im Parlament fernzubleiben. In Verweis auf den Besuch von Mottaki und anderes begründete Muzicant seinen Boykott: „Offensichtlich selbst auf kleine symbolische Gesten des Protestes gegenüber dem iranischen Regime zu verzichten, um ja nicht die weiterhin hervorragenden Geschäftsbeziehungen österreichischer Firmen mit dem Iran zu gefährden. Es sind diese Geschäfte – und es ist auch die österreichische Politik, die das antisemitische Regime in Teheran samt seinem Atomprogramm mit am Leben erhalten“, so Muzicant.

Eine weitere merkwürdige Gemeinsamkeit verbindet Israel und Bernhard. Die Bezeichnung „Übertreibungskünstler“ befasst sich mit dem Stil Bernhards, mit dem er seine Leser und Zuschauer aus deren gesellschaftlichem Wohlbehagen wecken will. In seinem Theaterstück „Heldenplatz“ über die NS-Zeit in Österreich etwa hat er das erreicht. Auch die israelischen Warnungen vor dem iranischen Regime und seiner Vernichtungsabsicht gegenüber dem jüdischen Staat sind als bloße Übertreibungsrhetorik abgestempelt worden. Man vergisst sehr schnell, dass die Shoah mit einer volksverhetzenden Sprache begonnen hat.

Vergangenheitsbewältigung im Test

Zwar hat Kanzler Faymann (SP) als erster Regierungschef den modernen Antisemitismus benannt, der hauptsächlich auf Israel fixiert ist. Während der EU-Wahl im vergangenen Jahr kritisierte er die FPÖ scharf wegen deren antiisraelischem Inserat, mit dem sie Stimmen gewinnen wollte. Die FPÖ hatte sich darin gegen einen EU-Beitritt Israels positioniert, obwohl Israel überhaupt kein EU-Kandidat ist. „Der einzige Grund, Israel hier zu nennen, ist es, antisemitische Vorurteile zu bedienen. Das ist eine Schande“, sagte Kanzler Faymann. Auch Kanzler Faymanns Kritik, die er im Gespräch mit Ariel Muzicant äußerte, an dem von der SPÖ initiierten Beschluss des Wiener Gemeinderates gegen Israel bezüglich der Gaza-Flottila, ist wichtig. Laut Muzicant hätte der Kanzler den Beschluss nicht durchgehen lassen sollen. Zudem wäre es wünschenswert, wenn Kanzler Faymann die in der Öffentlichkeit gerufenen antisemitischen Parolen und gezeigten Plakate und Transparente, auf denen „Wach auf, Hitler!“ stand und die Gleichsetzung des Davidsterns mit dem Hakenkreuz zu sehen waren, hart verurteilt.

Der soeben begonnene Israel-Besuch von Kanzler Faymann im Juni ist das dritte Ereignis. Neben Terminen mit den Nachkommen österreichischer Nazi-Opfer und einem Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem wird die Haltung der österreichischen Regierung gegenüber dem Iran ein Hauptthema sein. Für Israel ist der Lackmustest der österreichischen Vergangenheitsbewältigung, ob Österreich als nicht-ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat einen harten Kurs gegen den Iran befürwortet. Unter Sicherheitsexperten aus Israel und Europa gilt Österreich (und Deutschland) als Hindernis gegen die Bestrebungen, die iranischen Revolutionsgarden auf die EU-Terror-Liste zu setzen. Die Revolutionsgarden sind für die brutale Unterdrückung der iranischen Freiheitsbewegung verantwortlich und kontrollieren zwischen 50 und 80 Prozent der iranischen Wirtschaft.

Ob es gelingt, einen neuen Verteidigungskrieg wie 1967, als Bernhard im Krankenhaus lag, zu vermeiden, hängt vom Zustandekommen einer europäischen „Koalition der Willigen“ gegen das iranische Regime ab. Die entscheidende Frage ist, ob Österreich Farbe bekennen wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.