Den Bürgern die Würde zurückgeben

Bosniens selektives Visaregime leistet sicher keinen Beitrag zur Sicherheit in Europa.

Jahrelang hat man die ungerechte Mauer der Schengener Visapflicht von den Bürgern Bosnien-Herzegowinas als eine Art Bestrafung erfahren. Die Visapflicht in Verbindung mit dem bestehenden Gefühl der Ghettoisierung ist seit Jahren das entscheidende Element der Verunsicherung und Entmutigung der Mehrheit der Bürger dieses Staates.

Bosnien-Herzegowina hat die geforderten Bedingungen für die Visaliberalisierung erfüllt. Sofern von verzögerter Erfüllung der Bedingungen die Rede sein kann, so ist das auf die reduzierte Funktionalität der zentralstaatlichen Organe Bosniens zurückzuführen. Die Schwächung des Zentralstaates ereignete sich in den schwächsten Momenten dieses Landes – während des Angriffskrieges nämlich, der im Land zu Massenverbrechen und zum Genozid führte. Die staatlichen Organe werden nur allmählich und zu langsam im Prozess der EU-Integration gestärkt. In diesem Prozess der Transition Bosniens zu einem stärkeren Staat hätte die EU bislang unbedingt mehr Energie und Verständnis für Bosnien-Herzegowina aufbringen müssen.

Gerade in Erwartung der Visaliberalisierung wurden die Bürger Bosnien-Herzegowinas mit irritierenden Botschaften aus Europa konfrontiert, zu deren Verdeutlichung aus mehreren Gründen das Beispiel des „Monstrums von Grbavica“ herangezogen werden kann. Veselin Vlahović Batko, ein Angehöriger serbischer, bewaffneter Kräfte in einer zentralen Sarajevoer Siedlung, Auftragsmörder, Serienschlächter und -vergewaltiger und gebürtiger Montenegriner wird mit bulgarischen Dokumenten in Spanien festgenommen.

Und das Visaregime? Dieses blieb eng um die Bürger Bosnien-Herzegowinas gezogen. In den Reihen vor den Botschaften der EU-Länder in Sarajevo stehen mehrheitlich dieselben Menschen, welche sich während des Krieges auch reihenweise um Wasser und humanitäre Hilfe angestellt haben. Batko Vlahović hat offensichtlich kein Visum benötigt.

Visumfreies Reisen ist aufgrund der durch die Dayton'sche Verfassung ermöglichten Doppelstaatsbürgerschaften auch für bosnisch-herzegowinische Kroaten und Serben bei Besitz eines Reisepasses von Kroatien oder Serbien möglich. Demzufolge scheint die Visapflicht zu diesem Zeitpunkt nur für Bosniaken und sonstige Volksgruppen zu gelten.

Aus rechtlicher Sicht bedeutet dies, dass die Bürger Bosnien-Herzegowinas in Anbetracht des weiterhin bestehenden Visaregimes untereinander ungleich behandelt und in Menschenkategorien eingeteilt werden. Das war und ist keine gute politische, kulturelle und zivilisatorische Botschaft.

Es ist höchste Zeit für die Umsetzung der angekündigten Liberalisierung – bedingungslos und ohne weiteres Kalkül. In diesem Sinne ist Nachricht der Europäischen Kommission über die baldige Aufhebung der Visapflicht für die Bürger von Bosnien-Herzegowina und Albanien als ein erster wichtiger Schritt aus dem Ghetto zu begrüßen. Die angekündigte – aber noch nicht realisierte – Visaliberalisierung soll der erste Schritt sein, den Bürgern von Bosnien-Herzegowina die Würde zurückzugeben.

Innerhalb der EU ist Bosnien-Herzegowina bestens Österreich und Slowenien vertraut. Jedes Wissen um Bosnien, jegliches Verständnis dieses Landes kann nur von direktem Nutzen für die EU selbst sein.

Subjektive Sicherheit

Das österreichische Verständnis Bosnien-Herzegowinas fand ihren Ausdruck auf mehreren Ebenen, nicht zuletzt im personellen Engagement Österreichs. Der ehemalige Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft, Wolfgang Petritsch, und der amtierende Hohe Repräsentant, Valentin Inzko, sind Österreicher. Und auch der Kommandant der Eufor-Truppe, General Bernhard Bair, kommt aus Österreich.

Unter österreichischer Federführung hat auch Ministerin Maria Fekter im Rahmen einer unlängst in Sarajevo stattgefundenen Konferenz zum Thema „Interkultureller Dialog und innere Sicherheit“ überzeugend alle wesentlichen Prinzipien des Systems der inneren Sicherheit unter dem Aspekt der Wechselwirkung von Kultur und Sicherheit betont. Dabei führte sie Bosnien-Herzegowina als ein Paradigma der Begegnung verschiedener Religionen und der Möglichkeiten eines Zusammenlebens in Vielfalt an.

Gleichzeitig hob Minister Norbert Darabos hervor, dass die Region Bosnien-Herzegowina ganz klar im Fokus der österreichischen Außen- und Sicherheitspolitik liege. Aus Anlass der Konferenz bekräftigte er auch die Bedeutung der Stabilität Bosnien-Herzegowinas für die Stabilität des Westbalkans, aber auch Mitteleuropas.

Während die EU zu lange mit dem Visaregime laborierte, hat Österreich bereits um das Rezept gewusst, wie Bosnien-Herzegowina in die EU aufgenommen werden kann. Allen voran wusste Österreich, dass es keine Sicherheit ohne das subjektive Sicherheitsgefühl der einzelnen Bürger Bosnien-Herzegowinas gibt. Das selektive Visaregime, welches für den Gutteil der bosnisch-herzegowinischen Bürger noch immer gilt, leistet sicher keinen Beitrag für die Sicherheit in Europa. Auch trägt es weder zur innereuropäischen, geschweige noch zur innerbosnischen Solidarität bei. Ganz im Gegenteil! Der baldigen Aufhebung der Visapflicht als einem ersten Schritt auf dem Weg Bosnien-Herzegowinas Richtung Europa müssen weitere folgen: Nur eine klare EU-Perspektive begleitet von einer entschlossenen und einheitlichen Haltung der EU gegenüber Bosnien-Herzegowina kann notwendige interne Reformen unterstützen und damit europäische Zukunft für die Bürger Bosnien-Herzegowinas garantieren.

Haris Hrle (geboren 1963 in Stolac, Bosnien und Herzegowina) ist seit 2008 Botschafter von Bosnien und Herzegowina in Österreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2010)

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