Provozierendes, viel Richtiges, viel Falsches

Gastkommentar. Eine Replik auf die Aussagen des türkischen Botschafters in Österreich, Kadri Ecvet Tezcan, in einem Interview mit der „Presse“.

Der türkische Botschafter in Österreich, Kadri Ecvet Tezcan, hat der „Presse“ (10.November) ein undiplomatisch provokantes Interview gegeben. Die Aufregung war ebenso vorhersehbar wie auch ihr Verlauf. Sie läuft nach dem üblichen Muster der „Integrationsdebatte“ hierzulande ab: Empörung, Beschuldigung, Zurückweisung, Lagerbildung in Pro und Kontra. Übersehen wird dabei Wesentliches.

Botschafter Tezcan spricht viel Richtiges an. Dass hier lebende Türken zum Beispiel natürlich die Landessprache lernen und sich – wie andere Bewohner auch – an die Gesetze halten sollen, wird wohl niemand infrage stellen; dass man gegen Zwangsheiraten ist, auch nicht. Im Ton vergreift er sich aber bisweilen (zum Kopftuch „habt ihr nichts zu sagen“).

Die Trennung von „wir“ und „ihr“

Das Wesentliche aber ist der rote Faden, der sich durch das Interview zieht: die Trennung von „wir“ und „ihr“, von (wir) „Türken“ und (ihr) „Österreicher“ und die Homogenisierung von Inhomogenem.

Bei jemandem, der erst seit einem Jahr in Österreich lebt und den türkischen Staat in Österreich repräsentiert, ist es zwar verständlich, dass er von „wir Türken“ spricht. Die Identität der Menschen, über die Botschafter Tezcan spricht, ist aber viel reicher: Zigtausende Türkischstämmige, die in Österreich geboren wurden und hier aufgewachsen sind, sind nicht eindeutig der einen oder der anderen Seite zuzuschlagen, wie das der Botschafter tut.

Vor allem die jüngere Generation besteht nicht einfach nur aus Türken oder Österreichern, sondern beiden. Womit sich ja auch „beide Seiten“ schwertun – die Österreicher und der Botschafter. Diese Menschen wachsen mit zwei Mentalitäten, Kulturen, Sprachen auf.

Heißt das, dass alles eitel Wonne ist? Nein, ganz und gar nicht. Wenn Tezcan sagt, „Außer im Urlaub interessieren sich die Österreicher nicht für andere Kulturen“, so ist das nicht nur pauschalierend, sondern schlichtweg falsch. Übrigens genauso falsch wie die Behauptung, „Ihr Türken könnt euch nicht integrieren“.

Woran Integrationsdebatte krankt

Beide Aussagen werfen tausende bzw. Millionen Menschen in einen Topf, und daran krankt die leidige „Integrationsdebatte“. Genauso wie Tezcan die Österreicher homogenisiert und Hunderttausenden, die an anderen Kulturen auch jenseits des Urlaubs sehr wohl interessiert sind, Unrecht tut, homogenisiert er auch „die Türken“. Wenn er ihnen nämlich pauschal eine „nicht westliche Mentalität“ unterstellt und alle Türkischstämmigen zu Moslems erklärt, die selbstgenügsam leben und nichts Höheres anstreben.

Das mag auf einen Teil der türkischstämmigen Bevölkerung zutreffen. Die vielen aufstrebenden Unternehmer, Ärzte und Künstler, die von ihm genannt werden, sprechen aber gegen diese angeblich nicht westliche Mentalität bei den Türken. Der wirtschaftliche Aufstieg der Türkei sowieso.

Das Problem Halbsprachigkeit

Noch ein Widerspruch sei erlaubt: Erfreulich ist zwar, dass Tezcan die Finger in die Wunde der Halbsprachigkeit legt – jenes Problem nämlich, dass viele Kinder und Jugendliche weder die Muttersprache noch Deutsch ausreichend beherrschen.

Der Weg zur gelungenen Zweisprachigkeit kann allerdings nicht über den Import von in der Türkei sozialisierten Lehrerinnen und Lehrern gehen, sondern über die Ausbildung hier lebender Zweisprachiger, was übrigens auch für die Ausbildung von islamischen Religionslehrern und -lehrerinnen und Imamen gelten sollte.



Alev Korun (*27.9.1969 in Ankara)ist Absolventin des St.-Georgs-Kollegs in Istanbul und studierte Politikwissenschaften in Innsbruck und Wien. Sie ist seit 2008 Nationalratsabgeordnete und Integrationssprecherin der Grünen.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2010)

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