Macht und Ohnmacht in Rom: Die Divisionen des Papstes

Neue Töne. Das Interviewbuch von BenediktXVI. enthält Überraschendes und zeigt den religiösen Führer auch als Privatperson.

DéjÀ–vu
Wie viele Divisionen hat der Papst“, fragte Josef Stalin einst verächtlich und meinte damit, dass der Mann in Rom doch machtlos sei. Für ihn kam die Macht nur aus den Gewehrläufen.

Dass Benedikt XVI. vom Journalisten Peter Seewald in dem Interviewbuch „Licht der Welt“ , das sie zusammen herausgebracht haben, „der mächtigste Papst aller Zeiten“ genannt wird, relativierte der Papst das mit ebendiesem Zitat von Stalin: „Darin hatte Stalin schon recht, dass der Papst keine Divisionen hat. Er hat auch kein großes Unternehmen, in dem gleichsam alle Gläubigen seine Angestellten oder seine Untertanen wären. Insofern ist der Papst ein ganz ohnmächtiger Mensch.“ Jedenfalls gebe ihm die große Zahl von Mitgliedern der Kirche noch keine Macht.

Johannes Paul und Benedikt

Mit Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben wir zwei sehr verschiedene Weisen vor uns, das Papstamt zu verstehen und auszuüben. Johannes Paul verkörpert den Typ des Charismatikers (hier im politischen Sinn verstanden), der durch seine Person, seine großen Gesten, die noch vor jeder Reflexion unmittelbar verstanden werden, wirkt und dadurch eine Gemeinschaft zusammenbringt, die weit über die Grenzen seiner Glaubensgemeinschaft hinausgeht. In der weltweiten Anteilnahme an seinem Leiden und Tod wurde das erlebbar.

Joseph Ratzinger wird das zumindest skeptische Wort in den Mund gelegt, diese Identifikation zwischen Person und Amt „hat ihr (gemeint der Kirche) nichts gebracht“. Die Stationen seiner Wirksamkeit sind nicht dramatische Ereignisse, wie ein Attentat oder spektakuläre Begegnungen oder Bekenntnisse, sondern Bücher und Dokumente: die „Einführung in das Christentum“, das Jesus- Buch, die Enzyklika über die Liebe.

Es wäre freilich falsch und ungerecht, ihn nur als Mann der Institution zu beschreiben. Wie wenig er das ist, zeigt gerade auch das neue Buch. So könnte ihm in der vielleicht sogar providentiellen Abfolge der Päpste eine größere Nachhaltigkeit beschieden sein als seinem Vorgänger.

Worin besteht dann überhaupt die Macht eines religiösen Führers?

Der Papst sei „gewissermaßen der Anführer, der Repräsentant und zugleich der Verantwortliche dafür, dass der Glaube, der die Menschen zusammenhält, geglaubt wird, dass er lebendig bleibt und in seiner Identität unangetastet ist“, antwortet Benedikt.

Wie weit er wirkt, darüber macht er sich freilich keine Illusionen. Mit dem heiligen Augustinus sagt er: „Es sind viele draußen, die drinnen zu sein scheinen und viele drinnen, die draußen zu sein scheinen.“

Damit ist Benedikt bei seinem Grundthema: Der Sorge, dass der Glaube nicht nur als mehr oder weniger frommes Sentiment, sondern als konkreter Lehrinhalt in postmoderner Beliebigkeit verdunsten könnte.

Schon im Vorwort zu seinem Standardwerk „Einführung ins Christentum“ aus dem Jahr 1968 stellte der damalige Professor Ratzinger diesen Befund: Die Frage, was eigentlich Inhalt und Sinn des christlichen Glaubens sei, „ist heute von einem Nebel der Ungewissheit umgeben wie kaum irgendwann in der Geschichte“.

Das mag jene in eine gewisse Verlegenheit versetzen, die dieses Buch seinerzeit als ein Manifest des postkonziliären Aufbruchs gelesen hatten und die dem Papst nun vorwerfen, das Konzil, bei dem er ein wichtiger theologischer Berater war, zu verschütten.

Wissenschaftliche Skepsis

Die Antworten, die der Autor vieler theologischer Fachwerke dem Journalisten gibt, sind nicht neu, überraschend ist aber der Ton: Der Papst bremst den apologetischen Übereifer seines Gesprächspartners und formuliert selbst kritische Einwände, wo Seewald dogmatische Sicherheiten postuliert. Wissenschaftliche Skepsis steht gegen vorschnelle Gewissheiten.

Sehr vorsichtig geht der Papst mit dem Begriff „Wahrheit“ um: Aus wissenschaftstheoretischer Erkenntnis und historischer Erfahrung: „Wir haben sie nie, bestenfalls hat sie uns.“

Seewald gebührt allerdings das Verdienst, den Papst überhaupt – nicht zum ersten Mal übrigens – für ein in mehreren Sitzungen aufgenommenes Interview gewonnen zu haben.

Das Interessanteste in dem Buch ist die Differenzierung, die der Papst zwischen sich als BenediktXVI. und dem Theologieprofessor Ratzinger macht. Wenn er etwas sagt, was „Joseph Ratzinger eingefallen ist“, verwendet er die Ichform, wenn er „aus der Gemeinschaft der Kirche heraus“ spricht, sagt er „wir“.

Der Papst könne selbstverständlich „verkehrte Privatmeinungen“ haben. Das ist nicht nur ein semantischer Trick oder ein Gebot der wissenschaftlichen Korrektheit, sondern einfach katholisch.

Geradezu rührend ist es, wie der Papst sein Privatleben schildert. Der Führer einer der großen Weltreligionen verbringt die meisten seiner Abende nicht etwa bei großen Abendessen mit hochmögenden Menschen aus Politik oder Geistesleben oder sonstigen feierlichen Anlässen, sondern sehr schlicht. Vielsagend spricht er von der „päpstlichen Familie“, den drei Schwestern aus der geistlichen Gemeinschaft Memores Domini und den beiden Sekretären, mit denen er Frühstück und Abendessen einnimmt.

Don-Camillo-und-Peppone-Fans

Mit ihnen schaut er sich dann und wann einen TV-Film oder eine DVD an. „Don Camillo und Peppone“ gehört zu den Lieblingsstücken der Gruppe. Kleinbürgerlich könnte man diese Lebensweise nennen, die er mit zehntausenden seiner Priester rund um die Welt teilt. Später zieht er sich dann in seine kleine Wohnung zurück, in der er in den Möbeln wohnt, die er sich in Fünfzigerjahren als Professor gekauft hat, um noch zu arbeiten.

Benedikt hat keine Scheu über die Lasten des Alters zu reden: „Eigentlich überfordert das Amt einen 83-jährigen Menschen.“ Da findet sich auch die offenherzige Bemerkung: „Je älter man wird, desto uninitiativer wird man.“

Es spricht für seine Souveränität, dass er solche Sätze nicht aus dem Manuskript streichen ließ. Überhaupt hat man den Eindruck, hier einfach einem Menschen zu begegnen, was ja bei Interviews mit Politikern etwa nur selten vorkommt, weil selbst die vorgeblich persönlichen Bemerkungen sehr gezielt wirken.

Nachlassende Kräfte

„Ich merke auch, dass die Kräfte nachlassen“, gesteht der Papst. Er hoffe aber, Gott werde ihm so viel Kraft geben, „wie ich brauche, damit ich das Nötige tun kann“.

Er müsse aber seine Zeit gut einteilen und genügend Ruhezeiten einschalten, „dass man dann in den Zeiten, in denen man gebraucht wird, entsprechend präsent ist“. Jedenfalls werde er zurücktreten, wenn die Kraft für das Amt nicht mehr reiche.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2010)

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