Warum sollte es eigentlich keine „Neue katholische Kirche“ geben?

Mit einer Verbesserung der Lage in der katholischen Kirche ist nicht zu rechnen. Deshalb sollte man einen Neuanfang wagen.

Gastkommentar

Ich werfe die Frage auf, warum so vielen Menschen, die über die „Unzulänglichkeiten“ der katholischen Kirche in den letzten 20 bis 25 Jahren frustriert sind – als Alternative dazu, in resignative Passivität zu verfallen –, nur der Austritt bleibt.

Warum gibt es (noch) nicht die Chance, in eine „Neue katholische Kirche“ einzutreten. Dies setzt zwar eine Kirchenspaltung voraus, aber das wäre ja kein Tabubruch. Denn es gab ja schon zwei Kirchenspaltungen: eine um 500 in Ost- und Westkirche, und eine um 1500 durch Martin Luther (abgesehen von der Abspaltung der Kirche in England unter Heinrich VIII.).

Keine wirkliche Reform möglich

Listet man alle Argumente dafür auf, so kommt einiges zusammen: Zölibat auf freiwilliger Basis; Frauen dürfen Priesterinnen (und mehr) werden; Homosexualität wird nicht mehr als „sündige Verfehlung“ gewertet; Geschiedene dürfen wieder kirchlich heiraten und auch andere Sakramente empfangen; Bischöfe werden von den Gläubigen im jeweiligen Bistum gewählt; viele Dogmen, die über hunderte Jahre so nach und nach „hinzukamen“, könnte man bei der „Alten Kirche“ lassen; Rückkehr zur ursprünglichen Lehre Christi, ohne Pomp, Luxus, Finanzvergehen etc.

Wenn es in der Bibel heißt: „Lasset die Kinder zu mir kommen“, dann sollte das keinen bitteren Beigeschmack mehr hervorrufen. Und letztlich: Viele Gläubige, die – wie ich (mit 63 Jahren und nach reichlicher Überlegung) – ausgetreten sind, würden in eine „Neue katholische Kirche“ wieder eintreten. Klingt doch interessant, wenn auch revolutionär!

Mit der derzeitigen und mit Sicherheit auch mit der in den kommenden Jahren zu rechnenden Hierarchie ist eine wirkliche Reform der Kirche wohl nicht möglich. Warum also sollen die, „die wirklich guten Willens sind“, auf ewig mit den reaktionären Gläubigen (siehe zum Beispiel die Anhänger des Gott sei Dank als Bischof verhinderten Pfarrers Wagner) unter demselben Kirchendach frustriert leben?

Wäre nicht allen gedient, wenn in Zukunft beide Kirchen, vielleicht sogar friedlich (wie in Deutschland die Protestanten und die Katholiken), nebeneinander existieren würden?

Gegenpapst braucht es nicht

Einen Gegenpapst bräuchte man auch nicht installieren und würde so einen Konflikt vermeiden, denn ursprünglich war ein Papst ja nicht vorgesehen und führte die Einführung eines solchen (unter anderem) zu eben jener ersten Kirchenspaltung. Als Oberhirten könnte ich mir aber Bischof Hans (nicht Klaus!) Küng sehr gut vorstellen.

Das aktuelle Beispiel (Übertritt von anglikanischen Bischöfen) zeigt ja, dass der Vatikan offensichtlich nicht an Reformen denkt, sondern versucht, die „Abgänge“ vornehmlich im kontinentalen Europa durch streng konservative Neukatholiken zu kompensieren.

Also ist mit einer Verbesserung der Situation innerhalb der katholischen Kirche für sehr lange Zeit nicht zu rechnen, und daher ist es wohl legitim, nicht mehr über eine Reform zu diskutieren, die ohnehin nie kommt, sondern einen Neuanfang zu wagen!

Die Angst vor Verlust

Zumindest ergäbe dies eine interessante Diskussion! Und möglicherweise würde es die derzeitige Kirchenführung vom Papst abwärts unter Zugzwang setzen.

Denn der mögliche Verlust von bis zu 50 Prozent der Gläubigen – oder gar mehr – ist sicherlich das stärkste Argument, um doch Reformen in Gang zu setzen. Was wiederum beweisen würde, dass bei manchen Menschen die Angst vor Verlust mehr bewirkt als Einsicht durch Vernunft!

Hans Csokor (*1946) war 34 Jahre lang Geschäftsführer der Fa. Publimedia, Internationale Verlagsvertretungen (jetzt Publicitas).


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2010)

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