Schadenersatzrecht: Was gut klingt, muss nicht immer gut sein

Ein paar grundsätzliche Überlegungen zur geplanten Streichung von Schadenersatzansprüchen bei fehlerhafter Pränataldiagnostik.

Wenn die Justizministerin einen Gesetzesentwurf in Begutachtung schickt, der vorsieht, dass Eltern eines Kindes mit Behinderung keinen Schadenersatzanspruch gegen ÄrztInnen stellen können, die im Zuge der Pränataldiagnostik eine Fehlbildung nicht erkannt oder falsch eingeschätzt haben, so klingt das im ersten Moment recht gut.

Die konservative Reichshälfte und insbesondere die Kirchen haben diese Initiative auch sofort mit positiven Wortspenden unterstützt und darauf hingewiesen, dass das einen Meilenstein im Kampf für die Rechte von Menschen mit Behinderungen darstellt. Es ist allerdings wert, diese Diskussion ein wenig zu vertiefen.

Diese Gesetzesänderung bedeutet eine selektive Aufhebung der allgemein gültigen Überlegungen des Schadenersatzes für die Pränataldiagnostik. Wird die ärztliche Sorgfaltspflicht beispielsweise durch schlampige Erhebung eines Befundes bei der Krebsfrüherkennung verletzt, haftet der Arzt, wenn er nicht nach anerkannten Prinzipien vorgegangen ist, für die Konsequenz einer Diagnoseverzögerung.

Kommt es während einer Operation zu einer – durch Fahrlässigkeit verursachten – Komplikation, so haftet der Operateur für die Unannehmlichkeit, die sich aus der Behebung derselben für den Patienten ergeben. Warum soll das gerade in der Pränataldiagnostik anders sein?

Für oder gegen das Kind

Eine Frau, die Pränataldiagnostik in Anspruch nimmt tut das – auch – um sich für oder gegen das Kind zu entscheiden (dazu hat sich der Oberste Gerichtshof in mehreren Urteilen klar bekannt). Grundlage dafür ist Paragraf97 Absatz2 des Österreichischen Strafgesetzes, konkret die Formulierung, dass der Schwangerschaftsabbruch nicht strafbar ist, wenn „eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein wird“.

Eine Frau lässt also Pränataldiagnostik auch deshalb machen, um bei Entdecken einer schweren Fehlbildung die Schwangerschaft zu beenden (und nicht, wie sogar im Gesetzesentwurf fälschlich steht, zu unterbrechen). War die Pränataldiagnostik fehlerhaft, ist sie um diese Möglichkeit gebracht worden.

Daher ist es nur schlüssig, wenn sie argumentiert: „Wäre die Pränataldiagnostik korrekt durchgeführt worden, wäre eine Fehlbildung erkannt worden und ich hätte mich auf der Basis von §97 Abs2 dazu entschlossen, die Schwangerschaft zu beenden; da ich das durch einen Fehler des Arztes jetzt nicht mehr kann, haftet derselbe für die sich daraus ergebenden finanziellen Konsequenzen.“ Diese Haftung auszuschließen, ergibt nur dann Sinn, wenn man die embryopathische Indikation prinzipiell infrage stellt. Da sollte es einem zu denken geben, dass dieselben Gruppierungen, die jetzt der Justizministerin applaudieren auch diejenigen waren, die seit Langem die Abschaffung der embryopathischen Indikation – und eigentlich der gesamten Straffreiheit der Abtreibung – fordern.

Die begleitende Argumentation der vorgesehenen Gesetzesnovelle ist durchwegs falsch oder jedenfalls irreführend: Die derzeitige Situation führt mitnichten dazu, dass aus Sorge vor einer Haftung vorbeugend Schwangerschaften abgebrochen werden – ganz im Gegenteil, es wird um jede einzelne Indikation gerungen.

Das kann kaum eine Institution so gut beurteilen wie die Universitätsklinik für Frauenheilkunde in Wien, das größte Perinatalzentrum Österreichs. Bezeichnenderweise sind wir weder im Vorfeld in die Diskussion noch in die Begutachtung des Gesetzesentwurfes eingebunden worden.

Strafrecht: ein schlechtes Umfeld

Das Argument, man könne die Qualität der Pränataldiagnostik auch über Sanktionen der Ärztekammer gewährleisten, kann nur Außenstehende beeindrucken. Die Verfolgung von „schwarzen Schafen“ unter Medizinern durch die Ärztekammer ist leider keine Ruhmesgeschichte.

Auch der Hinweis, die Ärztin/der Arzt hafte ja weiter strafrechtlich, kann nicht befriedigen, jedenfalls nicht die betroffenen ÄrztInnen. Das Strafrecht ist sicher das schlechteste Umfeld, um eine Qualitätsdiskussion zu führen.

Schlussendlich ist der Hinweis, die Eltern behinderter Kinder würden im Zuge dieser Gesetzesänderung besser als bisher durch besondere Leistungen der öffentlichen Hand unterstützt werden, angesichts der aktuellen Sparpolitik der Regierung nicht frei von Zynismus. In diesem Zusammenhang ist es geradezu erfrischend ehrlich, wenn Martina Kronthaler, Generalsekretärin der Aktion Leben Österreich, in der „Presse“ vom 28.Dezember 2010 („Schadenersatzrecht – Unwürdig, unethisch ist der Status quo“) schreibt, dass sie vor den Sparplänen der Regierung nicht resignieren und weiter daran arbeiten werde, dass jedes Kind mit einer Krankheit oder Behinderung bekommt, was es für ein gutes Leben inmitten der Gesellschaft braucht. Das ist natürlich im vollen Umfang zu unterstützten, hat aber mit der Frage der Haftung bei fehlerhafter Pränataldiagnostik nichts zu tun.

Wenn die Ärztekammer rügt

Dieser selbst wird schlussendlich mit dieser Gesetzesänderung ein Bärendienst erwiesen. Es werden – wie in der Vergangenheit üblich – die Unerfahrensten in die Ultraschallambulanz gestellt, die halten dann den Ultraschallapplikator kurz auf den Bauch der Schwangeren und stellen fest, dass alles in Ordnung ist – was es ja auch zumeist ist.

Ist dann eine Fehlbildung übersehen worden, lebt es sich mit der Rüge der Ärztekammer problemlos weiter – allerdings zum Schaden der Reputation der Frauenheilkunde und wahrscheinlich auch der betroffenen Schwangeren.

Profitieren würden nur die Krankenanstalten und die Sozialversicherungen, die vor Kurzem in einem an Unehrlichkeit kaum zu überbietenden Schreiben die Spitäler Österreichs angewiesen haben, Pränataldiagnostik auf Kosten der Sozialversicherung durchzuführen – allerdings aus den bestehenden Budgets. Eine schlampige Pränataldiagnostik ist zweifelsohne billiger als eine hochwertige.

Entwicklung der Genetik

Wie Professor Ulrich H.J. Körtner in seinem Beitrag vom 21.Dezember 2010 in der „Presse“ („Kein Meilenstein, sondern ein populistischer Hüftschuss“) zutreffend festgehalten hat, sind „Fortschritte der modernen Medizin nicht nur ein Segen, sondern erzeugen Konflikte und Dilemmata“. Es wird Zeit, dass wir uns ihnen in einer ehrlichen Diskussion ernsthaft stellen. Das ist übrigens eine gute Übung für die Herausforderungen, die durch die Weiterentwicklung der modernen Genetik in Kürze auf uns zukommen werden, wo die Entschlüsselung des gesamten Genoms jedes einzelnen Bürgers bald für einen Pappenstiel möglich sein wird.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Person

Peter Husslein (*27. Mai 1952 in Wien) studierte Medizin in Wien. Facharztausbildung in Innsbruck, Salzburg und Wien). Seit 1992 ordentlicher Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie, seit 1996 Vorstand der Universitätsklinik für Frauenheilkunde. Forschungsschwerpunkte: Humangenetik, Wehenforschung, Frühgeburt. [ARCHIV]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2011)

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