Kritik an Ungarn: Bitte leisertreten!

Bei der Kritik aus Deutschland und Österreich am neuen Mediengesetz der Regierung Orbán ist ein großes Maß an Heuchelei mit im Spiel.

In tiefer Sorge um die Unabhängigkeit der Medien in Ungarn zerpflücken seit Ende Dezember westliche Journalisten das neue Mediengesetz der Regierung von Viktor Orbán.

Wäre da nicht ein großes Stück Heuchelei im Spiel, man würde so gerne einstimmen: Natürlich sind die freie Meinungsäußerung, die Unabhängigkeit des Journalismus, die Staatsferne von Funk, Fernsehen und Zeitungen ein hehres Gut, das es zu verteidigen gilt. Und deshalb sollte man zumindest darüber nachdenken, wenn Orbán davon spricht, dass dieses Gesetz seine Entsprechung in den Mediengesetzen westlicher Demokratien findet. Wie sieht es also mit der freien Meinungsäußerung bei uns aus?

Keine Frage, rassistische Hetze soll justiziabel sein und bleiben. Aber wenn über den Islam diskutiert wird und Fakten dargelegt werden, sollte der Staatsanwalt keinen Grund zum Einschreiten sehen – wie in Österreich mehrfach geschehen. Und wenn – wie in Deutschland – ein Kritiker die Probleme der ungesteuerten Migration aufgreift, entsteht eine Hexenjagd, für die sich Journalisten eigentlich zu schade sein sollten. Sind sie aber nicht, wie der Fall Sarrazin jüngst bewiesen hat. Denn der Bundespräsident und die Kanzlerin haben zur Hatz geblasen, und die Meute der journalistischen Hofhunde hat nicht einmal das Halali gehört.

170 Jahre vor Sarrazin...

Die Unkultur der politischen Korrektheit, die derzeit wie eine Krake die Medien umarmt, ist freilich keine Erfindung unserer Tage.

Alexis de Tocqueville hat schon im Jahre 1840 in seinem Buch „Über die Demokratie in Amerika“ darauf verwiesen, dass die moderne Demokratie neuartige Gefährdungen der Meinungsfreiheit ermögliche. Gefährdungen, die von einer Gesellschaft bzw. gesellschaftlichen Gruppen ausgehen, deren Konformitätsdruck zur Stigmatisierung unerwünschter Meinungen führe. Durch diese Stigmatisierung werde der, den sie trifft, zum Aussätzigen, ihm drohe vollständige Isolierung und letztlich der gesellschaftliche Tod. Eine Analyse, 170 Jahre vor Sarrazin...

Orbán beruft sich bei der Verteidigung seines Gesetzes auf vergleichbare Gesetze in Deutschland, Frankreich und Dänemark.

An den Beispielen ZDF und ORF

In Deutschland beispielsweise hat die Politik das Sagen, wenn es um die Besetzung der Führungsposten in den öffentlich-rechtlichen Sendern geht: Der Fernsehrat beim ZDF in Mainz und die Rundfunkräte der ARD-Sender haben alle politische Schlagseite (aber, im Gegensatz zu Ungarn, mit Vertretern verschiedener Parteien besetzt).

Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Staatsferne ist nicht gegeben, als „eindeutig verfassungswidrig“ bezeichneten jüngst Medienrechtler den Staatsvertrag des ZDF. Das populistische Geschrei des Staatssekretärs im Außenministerium ist, ebenso wie die meisten anderen Kommentare, frei von Kenntnis.

Auch wer sich den Hype um das ungarische Mediengesetz hier in Österreich ansieht, wird um das Wort Heuchelei nur schwerlich herumkommen. In einem Lande, in dem die Kanzlerpartei die Besetzung einflussreicher Posten beim Staatsfunk (so jüngst beim Chefredakteur) bestimmt, wäre man gut beraten, etwas leiser zu sein. Zumindest, bis der Wortlaut des Gesetzes (in Englisch) bekannt ist – und das ist erst seit ein paar Tagen der Fall.

Zuvor beriefen sich alle Kritiker auf jene Kollegen in Ungarn, die den korrupten Sozialisten während deren Regierungszeit einen Heiligenschein verpasst haben – nicht eben Garanten für seriöse Information.

Prof. Detlef Kleinert begann seine berufliche Laufbahn beim Bayerischen Fernsehen. Er war unter anderem Südosteuropa-Korrespondent der ARD in Wien.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2011)

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