Ratlos im Nahen Osten: Die USA von George W. Bush zu Obama

Aufruhr in der arabischen Welt. Nicht nur bei amerikanischen Präsidenten zeigt sich Unkenntnis und heillose Unterschätzung von Volksbewegungen.

George W. Bush und seine neokonservativen Berater aus der Denkschule des in Deutschland geborenen politischen Philosophen Leo Strauss hatten für den Nahen Osten eine Idee. Die Ereignisse der vergangenen Wochen in der arabischen Welt deuten darauf hin, dass sie nicht ganz so falsch war, wie das vorläufige Scheitern ihrer Verwirklichung vermuten lässt.

Die Idee ging im Wesentlichen so: Man bekommt ein falsches Bild, wenn man den Nahen Osten nur auf die arabischen Länder beschränkt und nur aus der Perspektive des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern betrachtet. Dieses Problem ist nicht der „Nahostkonflikt“ schlechthin, allenfalls ein kleiner Schauplatz davon. Die Krisenzone, um die es geht, ist viel größer, sie umfasst arabische und nicht arabische Länder, ist längst nicht nur muslimisch, sondern auch die Heimat von Christen, die schon um ein halbes Jahrtausend länger dort leben als die Moslems, und überdies deren religionsgeschichtlicher Mutterboden und Vorläufer sind.

Demokratie auch für die Araber

Diese Zone reicht von Nordafrika bis zum Iran und nach Pakistan. Sie ist für den Westen von vitaler Bedeutung, weil dort die größten Ölvorräte liegen und weil ihm von dort durch den Export von Terrorismus eine unmittelbare Gefahr droht.

Die meisten dieser Länder werden von despotischen Regimen regiert. Ihre wirtschaftliche Ineffizienz und die kulturelle Rückständigkeit hindern sie daran, Anschluss an die verhasste, aber insgeheim beneidete und bewunderte Welt der westlichen Industrieländer zu finden. Zu helfen ist diesen Ländern aber nicht mit einem Frieden zwischen Israel und den Palästinensern, sondern nur durch Demokratie, Pluralismus und die Entwicklung zivilgesellschaftlicher Haltungen. Das ist eine Position mit beträchtlichem emanzipatorischen Potenzial: Die Demokratie ist auch etwas für die Araber.

So weit, so gut, so richtig. Als Angelpunkt zur Veränderung machten die konservativen Denkwerkstätten im Dienste der Bush-Administration den Irak aus. Es ist dies ein Land mit einer respektablen gebildeten Mittelschicht, multiethnisch und multireligiös, relativ säkular und durch seine reichen Ölvorkommen potenziell wohlhabend.

Die Beseitigung des hässlichen Diktators würde die notwendige Voraussetzung für eine demokratische Umwälzung schaffen. Überdies könnte der Sohn den Fehler von Vater Bush korrigieren, der es nicht gewagt hatte, im zweiten Golfkrieg bis Bagdad vorzustoßen und Saddam Hussein zu stürzen.

Warum zur Förderung der Demokratie und zur Zurückdrängung des islamischen Fundamentalismus ein Krieg dieses gewaltigen Ausmaßes notwendig war, konnte Bush der Welt und seinem eigenen Land nie erklären. Den Zusammenbruch des Saddam-Regimes hätte man möglicherweise auch durch die Förderung eines Aufstandes und damit zu weit geringeren Kosten erreichen können.

Sehnsucht nach Freiheit

Gerade die friedlichen Aufstände in Tunesien und Ägypten und jetzt der mutige Widerstandskampf in Libyen zeigen, dass in diesen Ländern ein Potenzial an zivilem Bewusstsein und Freiheitssehnsucht schlummert, die eine solche Option keineswegs aussichtslos erscheinen lässt. Bush und die Vereinigten Staaten sind freilich nicht allein mit ihrer Unkenntnis und ihrer heillosen Unterschätzung dieser Volksbewegung.

Eine entscheidende Schwäche dieser Konzeption war, dass sie verkannte, dass politische Demokratie so etwas wie „nation building“ voraussetzt, das von außen zwar gefördert, aber nicht aufgezwungen werden kann. Heillos unterschätzt hat Bushs Nahost-Doktrin auch die mörderische Aggressivität, die es zwischen den verschiedenen Strömungen innerhalb des Islam gibt.

Bis heute sterben im Irak täglich Moslems in Terroranschlägen von Moslems anderer Konfession. Ein auch nicht bedachter und schon gar nicht gewünschter Nebeneffekt war die blutige Verfolgung und Vertreibung der Christen aus der Region, die Züge eines Völkermordes angenommen haben.

Barack Obama dagegen hat offensichtlich überhaupt keine Idee für den Nahen Osten. Damit auch keine, die so kriegerische Folgen haben könnte, wie die auf Schreibtischen von Politologen geborene des George W. Bush. Alles, was Obama seit Beginn der Volkserhebungen in Nordafrika gesagt oder eben oft nicht gesagt und getan hat, beweist das.

Obamas bejubelte Kairoer Rede

Welche Vorstellungen er haben mag, kann man aus der Rede schließen, die er nur zwei Monate nach seinem Amtsantritt am 4.April 2009 an der Al-Azhar-Universität von Kairo gehalten hat. Von dieser Rede erwartete man sich damals eine neue, eine andere Nahost-Doktrin der USA.

In Wien wurde die Rede von bekannten arabischen Vertretern der Moslems überhaupt als eine Tat bejubelt, die den Gang der Weltgeschichte ändern werde. „Ich glaube, dass Barack Obama Frieden und Wohlstand in diese zerstörte Welt bringen wird“, schrieb ein Blogger danach begeistert. Ein anderer, eher skeptischer amerikanischer Blogger notierte hingegen: „Die USA sind schwach, und diese Schwäche wird uns teuer zu stehen kommen.“

Viele empfanden die ehrerbietigen Bemerkungen über die arabische Geschichte und ihre kulturellen Errungenschaften sowie die höflichen Komplimente an die Gastgeber als geradezu welthistorisch. Andere hörten eher einen Unterton heraus von Selbstbezichtigung und Entschuldigung der USA für ihre Macht und Stärke, den sie als gefährliche Schwäche deuteten.

„Die muslimische Welt“?

Weltpolitisch tatsächlich relevant ist etwas anderes: Der Präsident verwendete ständig den Begriff der „muslimischen Welt“, an die er sich wende: Abgesehen davon, dass die sogenannte muslimische Welt keineswegs nur muslimisch, sondern auch religiös sehr heterogen ist (allerdings nicht mehr lange, an der ethnisch-religiösen Säuberung wird eifrig gearbeitet), akzeptierte er damit die Selbstdefinition politischer Entitäten über die Religion.

Das ist der Kern der Inkompatibilität moslemischer Vorstellungen mit dem westlichen Modell vom Staat. Keinem westlichen Politiker käme es in den Sinn, den Westen als „die christliche Welt“ zu bezeichnen.

Die Rede war eines jener Beispiele von Stimmungslyrik, wo Obama eine magische Symbiose zwischen sich und seinen Zuhörern herstellt und man sich nachher fragt, was war es eigentlich?

Kommentar der Demonstranten

Eine politische Doktrin zum Nahen Osten enthielt die Rede jedenfalls nicht. Es beruft sich auch niemand mehr auf sie – weder die Hymniker aus Wien noch die Administration Obama selbst. Nur der deutsche Bundespräsident hat das Wort „Der Islam ist ein Teil der USA“ übernommen und USA durch Deutschland ersetzt.

Von der Forderung nach Demokratie, Freiheit und gerechter Regierung kam in der Rede nichts vor. Den Kommentar dazu haben die Demonstranten von Tunis, Kairo und Tripolis gegeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2011)

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