In der Politik ist das Fahrrad noch nicht angekommen

Gastkommentar. Die österreichische Politik hat noch immer große Probleme mit der strukturellen Förderung nachhaltiger Verkehrsmittel.

Über die Notwendigkeit einer ökologisch und sozial verträglichen Gestaltung der Verkehrssysteme der Zukunft herrscht in der Fachwelt relativ breiter Konsens. Für die Umsetzung gibt es jedoch ambivalente Ansichten. Hier zeigen sich die Schwächen des föderal aufgesplitteten Systems der österreichischen Politikrealverfassung deutlich. Die österreichische Verkehrspolitik hat mit der strukturellen Förderung nachhaltiger Verkehrsmittel noch immer große Probleme – mit dem Radverkehr im Speziellen.

Ende April hat der Nationalrat die 23.Novelle der Straßenverkehrsordnung verabschiedet. Sie kann bestenfalls als Rumpf dessen bezeichnet werden, was möglich gewesen wäre. Den guten Ansätzen im Vorfeld folgte lediglich ein politischer Kuhhandel – das allerkleinste, gemeinsame Vielfache.

Im zugehörigen Unterausschuss des Verkehrsministeriums sind über lange Zeit von den Vertretern der breit gestreuten Interessen produktive Vorschläge zur gesamtheitlichen Attraktivierung des Radverkehrs diskutiert und herausgearbeitet worden. Einen verkehrsministeriellen Fernsehvorstoß später, in der Tasche eine bestenfalls mangelhafte Studie – und schon ist mithilfe der parlamentarischen Vertretung des Automobilismus auch nichts mehr übrig vom ohnehin zaghaften Begutachtungsentwurf.

Helmpflicht – eine „Belohnung“?

Wie passend, dass auch noch intransparente, aber stark bekräftigende Umfragewerte nachgeschossen werden können. Nur die schwächsten Glieder in der Kette, die Rad fahrenden Kinder werden mit einer Helmpflicht „belohnt“, wider die Vernunft aus internationalen Erfahrungen, die zeigen, dass Helmpflichten den Radverkehr nachhaltig verringerten.

Keine Spur von Maßnahmen zur Reduktion des Risikos, das von den Erwachsenen durch motorisierte Fahrzeuge ausgeht, keine Fahrradstraßen, keine Aufhebung der Radwegbenützungspflicht. Cui bono? Soll hier nur der Weg für eine generelle Radhelmpflicht in ein paar Jahren geebnet werden?

Es ist zweifelsfrei feststellbar, dass es gute, erste Ansätze gibt. So etwa der Masterplan Radfahren aus 2006 mit der brandaktuellen Revision 2011. Hierin werden vom Lebensministerium wichtige und richtige Maßnahmen für eine Stärkung ressourcenschonender Mobilitätsformen identifiziert.

Im Zustand der Systembeharrung

Die anderen Player, die für die föderalistische Umsetzung von gesetzeswirksamen Maßnahmen wichtig sind, wie beispielsweise das Verkehrsministerium, die Bundesländer und selbst die eigene Partei des Umweltministers ziehen ja auch am selben Strang – allerdings in die andere Richtung!

Die Kernmaßnahmen des Masterplans – Novellierung von StVO und FahrradVO sowie der Landesbauordnungen und Wohnbauförderungen – harren noch immer einer Inangriffnahme. Lediglich Oberösterreich hat seit 2006 durch die Verpflichtung zur Errichtung von Radstellplätzen im Rahmen der Bauordnung eine Vorreiterrolle eingenommen.

Wie es J. Howard Kunstler in „The End of Suburbia“ analysiert hat, befindet sich die Verkehrspolitik im Zustand der Systembeharrung – eines technologischen, raumplanerischen und letztlich auch sozialen Lock-in. In dieser Systembeharrung werden vielerlei gut gemeinte Pläne geschmiedet – Konzepte und Pläne zu Verkehr, Siedlungsplanung oder gar Energieautarkie. Wenn es aber um die effektive Umsetzung geht, um das Gießen in Gesetze und Finanzen, bleibt wenig übrig. Viel zu häufig sind die Maßnahmen gänzlich kontraproduktiv.

Klar gibt es die nicht von der Hand zu weisenden Teilerfolge, von denen punktuell berichtet wird – meistens auf kommunaler Ebene. Hier konnte der Verkehrsmittelanteil des Rades ein wenig gesteigert werden, dort eine Radabstellanlage eröffnet werden. Diese Maßnahmen sind aber nicht in einem systemrelevanten Ausmaß mit Einfluss auf das gesamte Verkehrssystem wirkend. Es sind punktuelle Maßnahmen an der Oberfläche.

Was sind die Zeichen der Systembeharrung anstatt eines Systemwechsels? Einerseits ist es der aktuell ganz besonders stark technologisch motivierte Business-as-usual-Trend: etwa dem energetisch effizientesten Fortbewegungsgerät nun einen Stromrucksack umzuhängen. Andererseits sind es die groben Mängel bei der Umsetzung von geäußerten Vorhaben in Normen, die struktur- und verhaltenswirksame Änderungen nach sich ziehen.

Eine Kultur des Langsamverkehrs

Übrig bleiben lediglich Oberflächenkosmetik und Marketingschienen mit stark emotional paradigmatischem Einschlag und wenig Rationalität. Eine Vielzahl an Labels und Aktionen ist vorhanden: ein bisschen Radverleihsystem hier, manche Verkehrssparaktionen da, Radaktionstage dort – an einem Tag, aber den Rest des Jahres und in den Gesetzen dominiert die Autoverkehrspolitik.

Bewusstseinskampagnen sind zu wenig, damit das umweltverträgliche Verkehrsmittel Fahrrad dauerhaft im Kopf der Verkehrsteilnehmer und Entscheidungsträger ankommt. Es bedarf einer gleichzeitigen Verankerung in unseren Gesetzen und Budgets. Nur mit dem Ingangsetzen dieser positiven Spirale zwischen Bewusstsein einerseits und möglichst universellen Handlungsanweisungen andererseits kann eine Kultur der Verkehrspolitik in Gang gesetzt werden, die den Langsamverkehr vorsieht und auch einsetzt.

Zur Person


E-Mails an: debatte@diepresse.comDipl.-Ing Tadej Brezina (*17.2.1976 in Ljubljana) studierte an der TU Wien. Mitarbeiter diverser Baufirmen und Ingenieursbüros. Seit 2008 Projektassistent am Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der Technischen Universität Wien. Zahlreiche Publikationen zu verkehrspolitischen Fragen, insbesondere Fahrradverkehr. [privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2011)

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