Recht sprechen – in Würde und in Unabhängigkeit

Es ist Verfassungsvater Hans Kelsen zu verdanken, dass Richter in Österreich unabhängig, unabsetzbar und unversetzbar sind.

Es ist, milde ausgedrückt, eine unerhörte Dreistigkeit, eine Person wegen ihrer korrekten und pflichtgemäßen Berufsausübung anzugreifen, wie es zuletzt einem Kärntner Richter geschehen ist, der ein Verfahren gegen einen Politiker zu führen hatte. Das Ausmaß der Angriffe, Morddrohungen inklusive, lässt dunkel erahnen, was Richterinnen und Richtern blühen könnte, wenn die Bundesverfassung nicht ihren besonderen Schutz vorgesehen hätte.

Dem österreichisch-jüdischen Juristen Hans Kelsen, dem Vater unserer Verfassung, sei Dank, dass der österreichische Richter unabhängig, unabsetzbar und unversetzbar ist.

Die Sonderstellung der Richter

Die Richtervereinigung richtet auch heute – und wird es weiter tun – ein Hauptaugenmerk auf die strikte Wahrung der Unabhängigkeit dieses Berufsstands, wobei die Schwierigkeiten schon bei der besonderen beruflichen Begriffsbestimmung anfangen.

Die (Berufs-)Richter stehen in einem ständigen Dienstverhältnis zum Staat, ohne Beamte zu sein. Ihre (Sonder-)Stellung ergibt sich aus der Unabhängigkeit, die ihnen die Bundesverfassung für die Ausübung ihres Amts zuerkennt. Die sachliche Unabhängigkeit dieser Staatsorgane äußert sich in der rigorosen Weisungs-Ungebundenheit, die persönliche Unabhängigkeit in der Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit.

Die Bundesverfassung hebt die Richterin und den Richter als Hauptorgane der Gerichtsbarkeit hervor, denen weder individuelle noch generelle, weder konkrete noch abstrakte Weisungen – wie sie für Beamte gesetzlich vorgesehen sind – gegeben werden können. Weisungen sind daher nichtig und unbeachtlich.

Zur Sicherung der Unabhängigkeit sieht die Bundesverfassung also die Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit vor, die aber – beispielsweise aus disziplinären Gründen – mit förmlichen richterlichen Erkenntnissen durchbrochen werden kann.

Judizieren, also Recht sprechen, wird immer nur eine solche Person können, die sich tatsächlich als vollkommen unabhängig betrachten kann, die vor jedweder Einflussnahme geschützt ist und daher ohne Ansehen der Person urteilen kann. Und die nicht zu befürchten hat, dass sie ein Urteil, das nicht überall Anklang findet, um ihr Amt bringen könnte.

Bindung an das Gesetz

Zu bedenken ist auch, dass Unabhängigkeit keinesfalls Entscheidungsfreiheit bedeutet, sondern ausschließliche Bindung an das Gesetz. Die Unabhängigkeit ist daher bestimmt keine Begünstigung, kein Privileg und schon gar kein Sonderrecht der Richterinnen und Richter, sondern ein Privileg der Gesellschaft oder des einzelnen Bürgers, der davon ausgehen kann, dass alle, und zwar ohne Ausnahme, vor dem Gesetz gleich sind. Die richterliche Unabhängigkeit ist also nicht ein Privileg der Recht Sprechenden, sondern ausschließlich der Recht Suchenden.

Die Pflicht der Legislative

Ein relevantes und geradezu unerschöpfliches Thema ist – in Zeiten der Budgetkonsolidierung – auch die ausreichende Anzahl von richterlichen Planposten. Ein Gesetzgeber, der die Personalbedeckung nicht garantiert, greift daher in Rechte ein, nicht jedoch in solche der Richter, sondern der Bürger.

Der Legislative kommt in diesem Sinn in unserem Rechtsstaat die absolute Pflicht zu, den Recht Suchenden die Grundrechte und den Recht Sprechenden ein Judizieren in Würde zu garantieren.

Hon.-Prof. Dr. Janko Ferk ist Jurist, Schriftsteller und Literaturwissenschaftler in Klagenfurt/Celovec. Seine neueste Veröffentlichung ist die Novellensammlung „Eine forensische Trilogie“ (Edition Atelier, Wien).


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2011)

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