Kirchendebatte: Es geht nicht um Glaubensfragen

Gastkommentar. Ist die Eucharistie weiter das Wesentliche des katholischen Glaubens, wären dieser alle anderen Überlegungen unterzuordnen.

In der jetzigen Kirchendebatte – ich sehe darin keineswegs einen „Streit“ – wird über alle möglichen Dinge debattiert, angefangen vom einzelnen Reizwort „Ungehorsam“ bis zur angedrohten Dispensierung der angeblich „aufmüpfigen“ Pfarrer.

In dieser Diskussion fehlt mir aber das Wesentliche. Das Wesentliche der katholischen Glaubenslehre sehe ich in der Feier der Eucharistie, des Abendmahles. Mir ist nicht bekannt, dass dieses Wesentliche heute nicht mehr gilt.

Ist die Eucharistie aber das Wesentliche und der Mittelpunkt, dann müssten alle anderen Überlegungen, Lösungsvorschläge und Ideen sich diesem Wesentlichen unterordnen. Mit anderen Worten, es müssten alle Varianten erwogen werden, um allen Christen wenigstens am Sonntag die Möglichkeit zur Eucharistiefeier zu geben.

Die Realisierung dieses Zieles spielt vielleicht in der Großstadt eine untergeordnete Rolle, weil es genug Kirchen im gleichen oder angrenzenden Bezirk gibt. Ganz anders ist die Situation „am Land“, wo es im Ort normalerweise nur eine Kirche, aber keinen Pfarrer gibt und die Ortsbewohner eben keine Möglichkeit zur Messfeier haben.

Andere Ziele als die Post

Die Leitung der katholischen Kirche sollte sich an Post, Polizei usw., die immer mehr Ämter und Dienststellen einsparen, kein Beispiel nehmen, zumal die Kirche andere Zielsetzungen haben muss, als nach rein materiellen und wirtschaftlichen Zielsetzungen zu reduzieren, einzusparen und damit ihre eigentliche Aufgabe – Seelsorger für die Menschen in jeder Pfarre zu sein – zu unterlaufen.

Zuerst denke ich an die vielen seinerzeit suspendierten Priester, die Ihr Amt verloren haben, weil sie sich freimütig und ehrlich zu einer Frau oder zu Frau und Kind bekannt haben. Diese „Priester ohne Amt“ sind längst in Zivilberufen tätig, wären also materiell und sozialrechtlich nicht auf die ohnehin nicht überhöhten Pfarrereinkünfte angewiesen. Sie fühlen sich als und sind immer noch geweihte Priester und würden in den meisten Fällen freudig wieder als solche wirken wollen. (Tatsache ist ja, dass viele von ihnen auch ohne „Amt“ in privaten Kreisen Eucharistie feiern. Mit der Wiedereinsetzung der „Priester ohne Amt“ könnten kurzfristig Dutzende derzeit nicht besetzte Priesterstellen wieder aktiviert werden.

„Stille Priesterreserven“

Zweitens könnten viele Diakone, die schon jetzt mit vielfältigen Aufgaben in den Pfarren betraut sind, zu Priestern geweiht werden und sodann Eucharistie feiern. Diakone sind theologisch gebildet, seit Jahren eng mit der Kirche verbunden und können das von ihnen angestrebte Priesteramt derzeit vielleicht nur deshalb nicht erreichen, weil sie (erlaubterweise) seit Jahren verheiratet sind.

An dritter Stelle der „stillen Priesterreserve“ stehen die „viri probati“ – Männer, die als Laien in der Kirche aktiv und erprobt sind, zum Teil alleinstehend, verwitwet oder auch verheiratet, die aber sonst alle Voraussetzungen für das Priesteramt aufweisen.

Wenn die Kirchenleitung den Christen in der ganzen Diözese den Zugang zur Eucharistie sichern möchte, dann wären diese drei Punkte – bei einigem Mut – sicher kurzfristig realisierbar, auch wenn dann im Vatikan da und dort Missfallen geäußert würde.

Auf lange Sicht gesehen, wird die Weihe von Frauen zu Diakonen und später auch zu Priestern kommen, wenngleich dies in der heutigen Situation nicht unbedingt vordringlich scheint.

Auch die Frage des Zölibats wird weiter zu diskutieren sein. Es gibt nämlich schon jetzt in der römisch-katholischen Kirche eine erhebliche Zahl von verheirateten Priestern.

Priester der anglikanischen Kirche etwa, die verheiratet sind, dürfen bei ihrem Übertritt in die katholische Kirche verheiratet bleiben und das Priesteramt weiter ausüben. Oder: In der griechisch-katholischen Kirche, die mit Rom vereint dem Papst untersteht, werden verheiratete Männer problemlos zu Priestern geweiht.

In der Ukraine sind verheiratete katholische Priester für die Bevölkerung ebenfalls eine Selbstverständlichkeit. Die verheirateten Priester der ukrainisch-katholischen Kirche arbeiten auch in den USA und in Kanada, ohne dass die dortigen römisch-katholischen Bischöfe Kritik oder Bedenken geäußert hätten.

Oder: Ist es nicht paradox, wenn ein katholischer Priester, weil er sich zu einer Frau bekennt, seine Funktion als Pfarrer verliert und suspendiert wird, während wenig später ein verheirateter orthodoxer Priester mit Familie und vier Kindern diese Pfarre übertragen bekommt? Wo bleibt da noch die Glaubwürdigkeit?

Ein materielles Problem?

Dazu kommt schließlich, dass die meisten Pfarrgemeinden überhaupt kein Problem mit einem verheirateten Priester haben.

Und noch etwas: Warum erzählt man in hohen Kirchenkreisen nur unter der Hand, dass es sich vordringlich um ein materielles Problem handelt, dass sich die Kirche einen familiengerechten Lohn und die Sozialversicherung für eine Priesterfamilie einfach nicht leisten kann. Warum sagt man das nicht öffentlich?

In der derzeitigen Kirchendebatte geht es jedenfalls keineswegs um Glaubensfragen, sondern um Fragen der Strukturen, die der heutigen Zeit nicht mehr entsprechen. Es geht nicht um Glaubensfragen, sondern um die Frage der Glaubwürdigkeit, in jeder Pfarre vertreten zu sein.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comKarl Vogler (*1926) war schon vor 1945 in der Pfarrjugend, nach dem Krieg in der Diözesanleitung der Katholischen Jugend aktiv; in den 1970er-Jahren Präsident der Katholischen Elternvereine Österreichs. Hauptberuflich war er Generaldirektor der Zuckerfabriken Tulln, Siegendorf und Bruck und Pressesprecher der österr. Zuckerindustrie. [PRIVAT]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2011)

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