Merkel, Grasser, Lauda – oder das Ende des Kommentars

Gastkommentar. Die Schwachsinnigkeiten in Politik und Wirtschaft haben ein Ausmaß erreicht, das eine Kommentierung derselbigen überflüssig macht.

Der Kommentar ist tot. Leider. Die Ereignisse der vergangenen Wochen belegen dramatisch, dass sämtliche Handlungsweisen, Ideen und vor allem der Unzulänglichkeiten, mit denen der Bürger von Exponenten aus Politik und Wirtschaft täglich konfrontiert wird, sich jeder Auseinandersetzung durch den herkömmlichen Kommentar entziehen.

Was auch der Grund dafür sein dürfte, dass sich die Damen und Herren Kommentatoren um die wesentlichen Dinge gar nicht mehr erst kümmern – und wenn doch, dann meterweit am Ziel vorbei.

Das ist die freundliche Sichtweise. Die weniger freundliche – man könnte auch sagen: die realistischere – ist, dass sie den Wahnsinn nicht mehr erkennen können, weil sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen.

Wenn etwa in der Bundesrepublik manifest wird, dass sich im Zuge eines Bankenskandals ein Prüfer um die Petitesse von 55 Milliarden Euro „verrechnet“ hat, stört das niemanden. Genauso lässt man die deutsche Kanzlerin mit dem Satz davonkommen, dass man für den Euro-Schutzschirm zwar nicht die erforderlichen Mittel hätte, man das aber schon irgendwie auf ein paar zigtausend Milliarden „hebeln“ werde.

Nonsens bleibt unhinterfragt

Irgendeine Frage, wie denn so ein Kreditgeschäft (nichts anderes ist „hebeln“) im Bedarfsfall durchgeführt werden soll? Nein, doch nicht mit unseren Kommentatoren. Und das mit Recht! Derartiger Schwachsinn steht über dem Kommentar. Wer nicht augenblicklich erkennt, welcher Nonsens verzapft wird, dem wird man es auch nicht erklären können.

Gleiches gilt für Österreich. Unser Anteil am europäischen Stabilitätsmechanismus, vulgo Euro- Schutzschirm, liegt bei 2,78 Prozent. Sollte irgendwann einmal tatsächlich auf das Garantievolumen von 2000 Mrd. Euro „hinaufgehebelt“ werden müssen, dann steigt die Garantieverpflichtung Österreichs auf gute 45 Mrd. Euro. Das macht Angst, denn ein derartiges Obligo kann über Nacht zum Zerfall des hierzulande so geschätzten sozialen Zusammenhalts führen und es wäre vorbei mit der österreichischen „Gemütlichkeit“.

Doch wer – außer marktschreierischen Zurufern aus dem Populismuseck der Opposition – kommentiert solches seriös und mit allen möglichen Implikationen für Wirtschaft und Gesellschaft?

Der Bauchfleck des Ministers

Noch ein paar andere Beispiele. Wie soll man zu kommentieren versuchen, dass sich der Seniorpartner der renommiertesten Wirtschaftsprüfungsunternehmen der Welt dazu hergibt, Abgabenvermeidungs-Modelle in Steueroasen für einen ehemaligen Finanzminister zu konstruieren?

Ein Dr. Peter Haunold von Deloitte hat – als unbestrittener Finanz-Mastermind von Karl-Heinz Grasser – eine solch schwindelerregende Konstruktion errichtet. Begründung: Um Grasser vor medialem Interesse zu schützen. Ein Testat dieses Unternehmens und damit auch von Grassers Liechtenstein-Steuerschoner wird übrigens von jedem Finanzamt anstandslos akzeptiert. Daher: Kommentar überflüssig.

Oder der Herr Verteidigungsminister und sein monumentaler Bauchfleck in Sachen Generalstabschef Entacher. Und zwar ohne jede Schuldeinsicht. Ohne irgendetwas, das nur den Hauch einer politischen Konsequenz oder menschlichen Anständigkeit hätte. Kommentar? Siehe oben!

Oder Herr Nikolaus Andreas Lauda, Niki also. Unser Niki verkauft um satte 40 Millionen sein Unternehmen an die Air Berlin. Begründung: ohne den Verkauf hätte er den Job als Aufsichtsrat der Air Berlin nicht annehmen können. Um das Unternehmen von „oben“ zu lenken. Eh klar, als „Non-Executive-Director“ – also als einer, der nix zu melden hat. Diese Argumentation war an Durchsichtigkeit kaum zu überbieten. Aber die „Haberer“ greifen halt nicht in die kritischen Kommentartasten. Eh schon wissen?

Gar nicht zu reden von den Herren Faymann und Spindelegger, die sich aus der Politik weitgehend zurückgezogen haben. Der eine lässt Rudas und Co. denken und sich höchstens noch von Staatssekretär Ostermayer erklären, was Claus Pandi von der Kronenzeitung schon wieder will.

Mit wem telefoniert Spindelegger?

Und der andere? Das einzige wesentliche Lebenszeichen gab er im Nahen Osten von sich, wo seine Bedeutung sich auch nicht jedermann sogleich erschließt. Und weil es so schön ist, hat der Herr Vizekanzler auch noch Fotos von sich zur gefälligen Verwendung der Medien anfertigen lassen. Sie zeigen den Außenminister wahlweise vor einer Kompanie der englischen Palastwache oder vor dem Big Ben. Immer dekorativ mit Mobiltelefon. Wir können nur raten, wer dran ist – Obama? Putin? Elisabeth II? Oder gar Erwin Pröll?

Und die Schuldenbremse? Im Verfassungsrang. Hat vielleicht irgendwer die Frage gestellt, wer über eine Klagslegitimation verfügt, falls sich die Regierungen nicht daran halten? Natürlich nicht, weil es eh egal ist.

Da sind wir noch gar nicht bei den Schwachsinnigkeiten, die wir nächstes Jahr (Untersuchungsausschuss) über uns ergehen lassen werden müssen. Dort hat man sich einen parlamentarischen Rechercheauftrag durch den Sumpf des Landes vorgenommen, der für viele Jahre des Hickhacks reicht. Sparen wir uns daher künftig das Kommentieren. Die Welt erklärt sich gerade von selbst. Und ganz offen gesagt: Das macht mir Angst.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comHans-Jörgen Manstein (*27. 9. 1944) ist Aufsichtsratsvorsitzender des Manstein Zeitschriftenverlages. Der renommierte Fachverlag publiziert diverse Magazine, darunter „Horizont“, „Bestseller“, „Cash“. Der Manstein Verlag ist auch Veranstalter der Österreichischen Medientage. [Manstein Verlag]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2011)

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