Um welche Macht geht es denn eigentlich in der Kirche?

Ruf nach Kirchenreformen. Über die versteckten Rivalitäten zwischen den diversen Gruppen. Historisch waren die Erneuerer aber immer auch Heilige.

Worum geht es eigentlich bei der Kirchenreform, von der so viele reden? „Um die Macht“, antwortet die aus Deutschland kommende Generalsekretärin der Katholischen Frauenbewegung Österreichs ohne Umschweife. Für den Feminismus ist auch die Kirche ein Schauplatz des Gender-Kampfes. Von dieser Perspektive ist selbstverständlich auch die Frage nach dem Priestertum von Frauen schon geklärt. Es muss quasi nur noch kirchenamtlich nachvollzogen werden.

In Österreich ist eine so direkte Sprache nicht üblich, daher verpackt der Präsident der Katholischen Aktion der Steiermark dasselbe in eine rhetorische Frage: „Wo ist die Macht?“ „Wer hat die Deutungskompetenz?“ Für den Präsidenten wird die „Machtfrage“ in der Kirche durch demokratische Abstimmungen entschieden. Es sei nämlich die „Gretchenfrage für die Kirche im 21. Jahrhundert“, ob sie an die „demokratisch-partizipativen Entscheidungsfindungen“ Anschluss finde, die in der Gesellschaft selbstverständlich geworden sind.

Die Bischöfe überstimmen

Zweck der Übung ist die Möglichkeit, die Bischöfe zu überstimmen. Er nennt das „Hinterfragen der monarchischen Kirchenstruktur“. Nur ungern und ausnahmsweise gibt er „sogar einem Bischof“ recht, wie er in einem Nebensatz gesteht. Dazu muss man wissen, dass die Katholische Aktion zwar eine Bewegung von Laien ist, aber gemäß ihrer Bestimmung „unter der Oberleitung“ ( superius moderamen ) der Bischöfe steht.

Gegen eine solche Sprache und Denkweise nimmt sich die sogenannte Pfarrerinitiative mit ihrem „Aufruf zum Ungehorsam“ ziemlich bieder und betulich aus. Diese und andere einschlägige Forderungskataloge, vom sogenannten „Kirchenvolksbegehren“ vor fünfzehn Jahren bis zum „Memorandum 300“ deutscher Theologen, laufen auf eine Klerikalisierung der Laien und eine Laiisierung der Priester hinaus.

Darauf hat der Grazer Pfarrer und Künstlerfreund Hermann Glettler in einem aufschlussreichen Gespräch in der „Kleinen Zeitung“ mit einem Vertreter der genannten Initiative hingewiesen. Letzterer war übrigens auffallend wortkarg.

Der Priestermangel und die Überbelastung des Pfarrklerus' werden als das alles beherrschende Problem der Kirche gesehen. Um es zu beheben, müsse man eben den Zugang zu diesem Amt erleichtern: Den Pflichtzölibat aufheben, „viri probati“ , also bewährte Männer oder auch Frauen, zu Priestern weihen.

Der soziale Hintergrund für diese Forderungen könnte auch das Drängen angestellter kirchlicher Mitarbeiter in geistliche Ämter sein. In diesen Kreisen ist der Nimbus des priesterlichen Amtes ja noch beträchtlich, obwohl sich der Klerus aller Zeichen äußerer Erkennbarkeit schon weitgehend begeben hat.

Dazu kommt, dass kirchliche Laienmitarbeiter fast immer Geistliche als Vorgesetzte haben, was ihnen den Status eines Geweihten zusätzlich erstrebenswert erscheinen lässt.

Das Drängende erhält die Pfarrerinitiative von der unleugbar schwierigen Situation des Klerus. In der Perspektive der Initiative hetzen überarbeitete Priester von Ort zu Ort und am Sonntag von Messe zu Messe. Wahrscheinlich kommen aber die Probleme der Priester weniger davon, dass sie generell überarbeitet wären, sondern daher, dass nicht wenige unter ihnen frustriert sind von der Erfolglosigkeit ihrer Anstrengungen und keine Rolle und Aufgabe in einer Gesellschaft finden, die sie immer weniger zu brauchen scheint.

Gestaltungsmacht auch für Frauen

Mit dergleichen schlägt sich die Katholische Aktion nicht herum. Sie hat zwar Sympathien für die Pfarrerinitiative, geht aber dennoch deutlich auf Distanz zu ihr, weil sie deren Tendenz zum Klerikalismus erkannt hat und wohl auch, weil ihr die autoritären Züge von deren Vorsitzenden nicht ganz geheuer sind. Die KA redet von der „Macht“ in der Kirche hier und jetzt.

In der vorsichtigeren Form heißt es „innerkirchliche Gestaltungsmacht“, vor allem auch für Frauen. Das ist ein durchaus berechtigtes Anliegen, das zunehmend auch schon erfüllt wird. In der Erzdiözese Wien etwa sind Frauen in leitende Positionen gekommen – und zwar auch in solche, die mit Seelsorge, gewissermaßen also dem „Kerngeschäft“ der Kirche, zu tun haben. Wichtige katechetische Aufgaben wie der Religionsunterricht liegen auch weitgehend in den Händen von Frauen.

Im harten Kern freilich ist die „Machtfrage“ – wenn man sie überhaupt so nennen will – in der Kirche schon entschieden. Der Jurisdiktionsprimat ist an die Weihe gebunden. Das gilt als dogmatisch wie biblisch abgesichert. Gemeindeleitung und Vorsitz in der Liturgie müssen in einer Person vereinigt sein. Von „priesterlosen Eucharistiefeiern“ zu reden ist daher nicht nur irgendwie „schlampert“ gedacht, wie der KA-Präsident meint, sondern widerspricht fundamental der kirchlichen Lehre von alters her.

Was genau heißt „Öffnung“?

Als der Kern von Reformwünschen bildet sich heute eine Art von Modernitätsverträglichkeit heraus. Die Kirche solle „sich der modernen Welt mehr öffnen“, heißt es. Überhaupt ist die „Öffnung“ der Kirche ein sehr beliebter Topos. Was damit gemeint ist, hat noch niemand definiert, es klingt aber jedenfalls gut. Beim letzten Konzil machte das suggestive, aber nichtssagende Wort vom aggiornamento die Runde. Es bedeutet soviel wie die Kirche „auf den Stand der Zeit zu bringen“.

Auf dem Stand der Zeit zu sein, kann aber nur dann ein erstrebenswertes Ziel sein, wenn die Generaldiagnose über die Gegenwart eine uneingeschränkt positive wäre. Das ist sie aber aus kirchlicher Sicht nicht. Es wäre zu unterscheiden zwischen Forderungen einer bloßen politischen Korrektheit, wie es etwa der Kult von lobbystarken Minderheiten ist, und echten Fortschritten.

Das ist nicht immer leicht. Auch ist die Wahrheit nicht immer auf der Seite statistisch erhobener Mehrheiten. In ihrer Zeit zu leben und sie gleichzeitig durch ihren Glauben und ihre Moral zu überbieten, ist die bleibende Herausforderung an die Christen. „Nolite conformari huic saeculo“, „passt Euch dieser Zeit nicht an“, lautet ein biblisches Postulat aus dem Römerbrief (12,2).

Ecclesia semper reformanda

Die Kirche ist immer reformbedürftig. Das weiß sie seit ihren Anfängen und sie hat dieses Wissen in einer einprägsamen lateinischen Formel bleibend festgehalten: Ecclesia semper reformanda.

Ernsthafte Christen haben das immer so verstanden, dass sich der Ruf zur Reform zunächst einmal an sie selbst richtet, dass sie bei sich selbst anfangen und ihr Leben ändern und nach dem Evangelium ausrichten müssen.

Die „Glaubwürdigkeit“ der Kirche hängt immer davon ab, ob die Gläubigen so leben, dass ihr Beispiel als staunens- und nachahmenswert empfunden wird.

Nicht durch Zufall sind die meisten Kirchenreformer auch Heilige gewesen – oder besser umgekehrt: Die Kirche ist nur durch Heilige wirklich reformiert worden. Das gilt vom heiligen Franz von Assisi bis zu Mutter Teresa. Mit Kategorien wie Macht ist das nicht zu erfassen.

Emails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2011)

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