Streit um ELGA: Keine Angst, die Patienten bleiben angezogen

Die Elektronische Gesundheitsakte als Vehikel, um ärztliche Schreckensvisionen und ärztekämmerliche Alpträume auszuleben.

Das österreichische Gesundheitswesen war schon immer ein fruchtbarer Boden für Geschichtchen, Mythen, düstere Prophezeiungen, Halbwahrheiten und sogar Lügen. Was sich aber derzeit um ELGA (Elektronische Gesundheitsakte) rankt, lässt selbst altgediente Verschwörungstheoretiker blass aussehen. Ein neuer „Skylink“, ja sogar die Stasi wird aus den Untiefen der Geschichte hervorgeholt („Presse“-Gastkommentar von Marcus Franz vom 21.11.) und in die aktuelle Diskussion eingebracht.

Die Frage drängt sich auf: Von welcher ELGA ist hier die Rede? Denn mit dem aktuellen und seit Jahren entwickelten Projekt hat sich offenbar keiner der Kommentatoren inhaltlich beschäftigt.

Es scheint, dass ELGA ein lohnendes Vehikel ist, um ärztliche Schreckensvisionen, standespolitische Verfolgungsneurosen und ärztekämmerliche Alpträume auszuleben. Wir haben nunmehr auch ein österreichisches Ungeheuer von Loch Ness, das die Ängste und Emotionen wie ein Magnet an sich zieht. Der gläserne Patient, der gläserne Arzt und der Datenklau erleben ihre Auferstehung.

Man muss sich nur die APA-OTS-Aussendungen anlässlich der Einführung der E-Card im Jahr 2005 ansehen. Die damaligen düsteren Weissagungen haben sich nicht erfüllt. Dies zeigt eindrucksvoll, wie glaubwürdig die „Propheten des Daten-GAUs“ wirklich sind. Übrigens, der sogenannte „Tiroler Datenklau“ war kein „Hacking“ eines zentralen Servers.

Eine Desinformationskampagne

Den Vogel hat aber die jüngste „Informationskampagne“ der Ärztekammer abgeschossen. Die Darstellung von entblößten Menschen in großformatigen Inseraten soll wohl vor allem die Emotionen ansprechen und Urängste, die mit dem Bild des gläsernen Patienten verbunden werden, verstärken. Es handelt sich aber um keine Informationskampagne, sondern schlicht um eine Desinformationskampagne.

Der Wahrheitsbeweis kann leicht angetreten werden, denn zu ELGA wird kein Patient zwangsverpflichtet, es wird auch keinem Patienten das letzte Hemd geraubt. Die Behauptung, dass mehr als 100.000 Personen Zugang zu den Krankheitsdaten der Patienten bekommen, ist schlichter Unsinn.

Bevormundung durch Funktionäre

Heerscharen von Ärztekammer-Funktionären waren seit Jahren in einzelne Projekte einbezogen, haben die verschiedenen Arbeitskreise von ELGA und E-Medikation „bereichert“. Sie wissen genau, dass diese Behauptungen schlicht die freche Unwahrheit sind. Wenn die Ärztekammer-Funktionäre ihre eigenen Mitglieder falsch informieren, ist das eine interne Angelegenheit. Problematisch wird es aber dann, wenn das Vertrauensverhältnis und das anhaltend hohe Ansehen der Ärzteschaft bei den Patienten missbraucht werden.

Patienten und Bürger werden aus standespolitischen Zwecken instrumentalisiert und sollen für Partikularinteressen einer relativ kleinen Gruppe von Gesundheitsdiensteanbietern mobilisiert werden. Wie jüngste Umfragen (Ökonsult, Dezember 2011) deutlich zeigen, verwahren sich Bürger und Patienten gegen die Bevormundung durch Ärztekammer-Funktionäre.

Eine neue Dimension von Qualität und Patientensicherheit, integrierter Versorgung und evidenzbasierter Patientenentscheidung kann nur durch ein effektives Werkzeug, wie es E-Health, ELGA und E-Medikation sind, erreicht werden. Wer an einer seriösen Diskussion interessiert ist, sollte sich zuerst über das aktuelle Projekt ELGA informieren.

Dr. Gerald Bachinger, NÖ Patientenanwalt, Mitglied im Beratungsgremium E-Medikation und im Nutzerbeirat ELGA sowie in einer Vielzahl von Arbeitsgruppen.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2011)

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