Putin und die Journalisten

In Russland hat sich zuletzt ein Qualitätsjournalismus herausgebildet, der wesentlich zur Proteststimmung im Land beiträgt.

Das Fass zum Überlaufen gebracht hat zwar Wladimir Putin selbst, als er signalisierte, unbedingt auch die nächsten zwölf Jahre an der Macht bleiben zu wollen. Es folgte ein realsatirischer Parlamentswahlkampf mit Nochpräsident Dmitrij Medwedjew, der dabei etwa die Vorzüge von Badminton anpries. Schließlich gab es – nicht das erste Mal – dreiste Wahlfälschungen, die die bisher größten Proteste der Ära Putin auslösten.

Eine wichtige Rolle spielte aber auch ein russischer Qualitätsjournalismus, der zuletzt in zunehmender Schärfe und Intensität Vetternwirtschaft beim Namen nannte, Korruption aufdeckte und vielfältige Fragwürdigkeiten anprangerte. Die Rede ist hier von Onlinemedien wie gazeta.ru, dem Radiosender Echo Moskwy, Hochglanzzeitschriften wie „Snob“ oder der russischen Ausgabe von „Esquire“, Magazinen wie „Bolschoj Gorod“, „Kommersant-Wlast“ oder „New Times“, Zeitungen wie „Nowaja Gaseta“, Wirtschaftsblättern wie „Kommersant“ oder „Wedomosti“.

Anders verhält es sich im TV: Die großen russischen Sender waren seit spätestens 2004 politisch weitgehend gleichgeschaltet, hochrangige Kreml-Bürokraten geben in informellen und allwöchentlichen Treffen mit TV-Bossen die inhaltlichen Leitlinien vor.

Zurück zum Printjournalismus: Bis vor wenigen Wochen dominierte unter vielen Redakteuren die Ernüchterung – insbesondere auch darüber, dass all ihre journalistische Schwerarbeit keinerlei politische Konsequenzen zeitigte. Russische Behörden verweigerten Untersuchungen zu offensichtlichen Verbrechen, der Korruption beschuldigte Beamte machten Karriere und nach „normalen“ Kriterien rücktrittsreife Minister verblieben einfach im Amt.

Steter Tropfen höhlt den Stein

Was die Journalisten aber nicht direkt beobachten konnten, war die Wirkung ihrer Recherchen auf ein gebildetes, politisch interessiertes und vor allem auch wirtschaftlich aktives Publikum: Steter Tropfen höhlt den Stein – in den Augen eines urbanen Mittelstandes verloren Putin und Co. zunehmend ihre Glaubwürdigkeit und zuletzt auch ihre Legitimität. Und genau dieser Mittelstand stellt nun eine zentrale Säule des Protests dar.

„Was meine Bekannten betrifft: Zur Demonstration kommen Spitzenmanager von Investmentbanken, Holdinggesellschaften, Rechtsanwaltskanzleien und Wirtschaftsprüfungskonzernen. Zwei Bankiers und ein Fondsmanager fliegen eigens aus London ein. Das sind sehr reiche Menschen“, schrieb vergangene Woche auf Facebook eine Redakteurin von „Wedomosti“. Diese 1999 gegründete wirtschaftsliberale Tageszeitung, die sich durch investigativen Wirtschaftsjournalismus; kritische Kommentare und Interviews auszeichnet, gilt dieser Tage als eines der Leitmedien des Protestes.

Das trotz einer Papierauflage von nur 70.000 Stück. Aber soziale Medien wie Facebook, Twitter oder das russische Wkontakte sorgen für eine deutlich größere Verbreitung. „Wedomosti“ hat womöglich einen entscheidenden Vorteil: Das Blatt gehört ausländischen Medienkonzernen.

Spät, aber doch scheinen Russlands Mächtige die Bedeutung kritischer Printmedien erkannt zu haben, eine Säuberungswelle wird befürchtet: Für seine Wahlberichterstattung wurde bereits der Chefredakteur des Wochenmagazins „Kommersant-Wlast“ gefeuert – der Verlag steht im Besitz des Kreml-nahen Oligarchen Alischer Usmanow.

Herwig G. Höller ist Lehrbeauftragter am Slawistik-Institut der Uni Graz und Journalist beim „Falter“.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2011)

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