Die österreichische Sicherheitsstrategie ist gar keine Strategie

Das neue Papier begleitet den Umbau des ehemals militärischen Bundesheeres zu einer Feuerwehr- und Polizeiorganisation.

Österreich will sich eine neue Sicherheitsstrategie geben. Genau genommen will das die Bundesregierung und insbesondere ihr sozialistischer Teil unter Verteidigungsminister Norbert Darabos. Die alte Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin ist immerhin schon zehn Jahre alt und gehört zumindest evaluiert. Parallel dazu läuft der Prozess zur weiteren Verringerung des ohnehin winzigen Militärpotenzial des Bundesheeres weiter.

Aus Erfahrung weiß man, dass eine Sicherheitsstrategie keinerlei Einfluss auf den Prozess der Rüstung oder der Ausrichtung des Bundesheeres hat, sondern programmierte Makulatur ist. Deshalb ist es eigentlich beinahe egal, was in einer Sicherheitsstrategie drinnensteht. Wesentlich ist das außen- und verteidigungspolitische Verhalten der Bundesregierung.

Die zur Disposition stehende Strategie hat einige Schwächen, die man aber – bis auf eine – noch beheben könnte. Diese eine besteht darin, dass die Strategie keine Strategie ist. Eine solche wäre nämlich ein Entwurf zur Durchführung eines Gesamtkonzepts, in dem Österreich sicherheitspolitisch ein vorgegebenes Ziel zu erreichen versucht. Dieses vorgegebene Ziel existiert aber nur in sehr allgemeiner Form, die für konkrete Zielformulierungen unbrauchbar ist, da es ja auch keine österreichische Außenpolitik oder klare europapolitische Ziele gibt.

Streichung der Nato-Option

Tatsächlich ist die sogenannte Strategie eine – übrigens recht gute – Darstellung möglicher Aufgaben der Sicherheitspolitik und der sicherheitspolitischen Lage Österreichs sowie der sich daraus ergebenden Herausforderungen; also der Versuch eines Konzeptes der Hinterfragung des sicherheitspolitisch erforderlichen Handlungsbedarfs. Diesem Konzept mangelt es jedoch an einer Darstellung der Entwicklung der internationalen strategischen Lage. Die ursprüngliche Motivation des Verteidigungsministers war es wohl, jene Passage aus der alten Doktrin zu entfernen, wonach sich Österreich die Option eines allfälligen Beitritts zur Nato offenlassen will. Die ÖVP hat inzwischen längst ihre Zustimmung zur Streichung dieser Option signalisiert.

Entmilitarisierung des Heeres

Hinsichtlich des verteidigungspolitischen Bereichs vermisst man eine Erklärung darüber, ob man aufgrund dieses Konzepts eine Wehrplichtigenarmee oder ein Berufsheer bräuchte beziehungsweise kann das von jeder Seite her beliebig interpretiert werden. Außerdem stimmen beide Regierungsparteien hinsichtlich der Entmilitarisierung des Bundesheeres weitgehend überein. Ins Zentrum rücken sogenannte Assistenzaufgaben, insbesondere der Katastrophenschutz, sowie die Mitwirkung des Bundesheeres an internationalen Einsätzen mit eher polizeilichem als militärischem Charakter.

Für die eigentliche Aufgabe der Verteidigung oder für anspruchsvollere internationale militärische Einsätze fehlen dem Bundesheer ohnedies die Ausrüstung und moderne Bewaffnung. Für eine moderne Kriegsführung ist das Bundesheer schon lange nicht mehr ausgerüstet. Das bedeutet, dass es zur verfassungsmäßig vorgegebenen primären Aufgabe Landesverteidigung gar nicht mehr imstande wäre. Auf diese Problematik wird aber nicht eingegangen.

So bleibt die „Strategie“ bei allen analytischen Qualitäten letztlich doch nur ein Papier, das die Konzeptlosigkeit des Landes demonstriert und den Umbau des ehemals militärischen Bundesheeres zu einer Feuerwehr- und Polizeiorganisation begleitet.

Hon.-Prof. DDr. Erich Reiter (*13. 7. 1944) war Beauftragter des Verteidigungsministeriums für strategische Studien. Er ist Präsident des Internationalen Instituts für Liberale Politik Wien.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2012)

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