Der programmierte Blindflug

Warum sich die Ärztinnen und Ärzte gegen die geplante Elektronische Gesundheitsakte wehren: Die Haftungsfrage ist völlig offen.

ELGA, die geplante Elektronische Gesundheitsakte, ruft uns Ärztinnen und Ärzte auf den Plan. Warum? Weil die Haftungsfrage beim jetzigen Entwurf völlig offen ist. Die Macht liegt bei Hauptverband und Gesundheitsminister Alois Stöger, die Verantwortung aber bei uns Ärzten! Bleibt die Haftungsfrage ungeklärt, rate ich meinen Patienten zur Opt-out-Variante.

Stellen Sie sich vor, Sie sind Arzt und haben eine Patientin wegen akuter Schmerzen in Ihrer Ordination. Sie untersuchen sie und empfehlen eine Injektion zur Akutbehandlung; Dauerdiagnosen und letzte Befunde der Frau sind Ihnen bekannt. Auf die Injektion folgt akute Atemnot und ihr Kreislauf bricht zusammen. Sie verständigen den Notarzt und versuchen, die Lebensfunktionen der Patientin aufrechtzuerhalten. Die Frau wird ins Krankenhaus transportiert und übersteht den Vorfall mit viel Glück ohne bleibenden Schaden – aber das ist ungewiss.

Was ist passiert? Eine allergische Reaktion auf das Medikament der Injektion. Bei Durchsicht der gesamten Krankengeschichte findet sich ein Hinweis darauf, dass die Patientin bereits einmal mit einem Hautausschlag auf ein ähnliches Medikament reagiert hat. Und? Waren Sie nachlässig oder haben gar fahrlässig den Hinweis übersehen? War es der Turnusarzt im Krankenhaus, der nach einem 48-Stunden-Dienst dieses Ereignis nicht als Verdachtsdiagnose vermerkt hat?

Das Risiko wird größer

Der jetzige Entwurf zu ELGA gibt darauf keine Antworten. Fest steht nur, dass das Risiko und damit die Versicherungsprämien mit ELGA steigen werden und unser Gesundheitssystem noch teurer wird. Und da immer jemand schuld sein muss, wird dem Verursacher wegen Nichtbeachtung der ELGA- Vorschrift (dem Vernehmen nach 10.000 Euro) eine Strafe auferlegt.

Viele offene Fragen also – und wieder entscheiden ausschließlich Funktionäre, Beamte und Politiker über komplexe gesundheitspolitische Fragen. Wir Mediziner und damit der Faktor Praxistauglichkeit bleiben vor verschlossenen Türen zurück. Denn nur Theoretiker wie Patientenanwalt Gerald Bachinger („Presse“-Gastkommentar vom 13.12.) glauben, dass der jetzige ELGA-Entwurf unser System verbessern kann.

Aber wir Ärzte müssen dafür geradestehen. Damit haben wir auch kein Problem, aber wir wollen unsere Arbeit nicht durch die Ideen uninspirierter, mutloser Schreibtischattentäter erschweren. Politiker versprechen gern Spitzenmedizin, haben in ihrem Leben aber noch keinen Patienten gesehen. Wir Ärztinnen und Ärzte sind zwar in Arbeitsgruppen eingebunden und nehmen an Pilotprojekten teil, mitentscheiden und mitgestalten dürfen wir nicht. Wir sitzen in einer Landesgesundheitskonferenz, aber ohne Stimmrecht!

Letztendlich soll ELGA die fehlende Kontinuität in der Patientenbetreuung kompensieren. Der Hausarzt, der früher Patienten sicher durch unser Gesundheitssystem gelotst hat, wurde von der Politik erfolgreich abgewertet. Rufbereitschaften und Wochenenddiensten wurde die finanzielle Basis entzogen. ELGA soll es jetzt richten, und wir Ärzte werden als geldgierige Blockierer dargestellt.

Dabei können wir uns durchaus vorstellen, dass eine Elektronische Akte gut und sinnvoll ist. Aber wir Ärzte müssen in diesen Prozess eingebunden werden. Sonst ist der nächste politische Blindflug programmiert!

Johann Jäger (*1954) ist seit 28 Jahren Hausarzt in Niederösterreich und Landeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2012)

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