Zeit, Strom zu sparen – im Land der Hämmer zukunftsreich

Hysterie und die Frage der Stromversorgung in Österreich ein Jahr nach Fukushima: Geben Sie doch ein Beispiel, Minister Berlakovich!

Täglich klicke ich im Internet auf die Webadresse unseres Stromnetzbetreibers Austrian power grid (apg), um zu sehen, ob wir unseren grünen Strom auch ins Ausland exportieren. Schon allein, weil ich nach Fukushima einige Aktien des Verbunds erworben habe – in der Hoffnung, dass dieser nur grüne Energie vermarktet, die ja in Zukunft begehrenswerter werden und gewinnträchtig exportiert werden sollte.

Dreifache Enttäuschung

Dreifach wurde ich enttäuscht, und jedes Mal aufs Neue, wenn ich die Webadresse anklickte. Jetzt, da ich dies schreibe (Mittwoch, 7.März 2012, 17 Uhr), ist die Lage besonders deprimierend: 1400 Megawatt (MW) aus Tschechien, 2100 MW aus Deutschland, also zusammen 3500 MW Import und nur 2500 MW als Export wieder raus in die anderen Nachbarländer. Also 1000 MW Nettoimport, das sind fast 15 Prozent unseres österreichischen Strombedarfs von im Mittel 7000 MW.

Dabei waren die Tage zuvor, als es wieder wärmer wurde, gar nicht so schlecht, unsere Import-Export-Bilanz war ausgeglichen. In den kalten Monaten davor war es dagegen deprimierend: Wir haben auf Teufel komm raus tschechischen und vermutlich über Deutschland französischen Atomstrom bezogen. Offenbar haben unsere Wasserkraftwerke nicht genug preiswerten Strom geliefert.

Jetzt hoffe ich, dass mich wenigstens der Wind nicht ganz enttäuscht. Ich klicke wieder die Webadresse des apg, um zu sehen, wie viel Strom aus den Windrädern auf der Parndorfer Platte in unser Netz fließt. Tatsächlich: Die Windräder laufen gerade mit 20 Prozent Auslastung. Das ist ja schon was, denn in den letzten Tagen waren es im Mittel nur zehn Prozent.

Zweite Enttäuschung: Der Aktienkurs des Verbunds ist seit Fukushima gefallen. Aber daran bin ich ja selbst schuld, was kaufe ich auch die Papiere einer Firma, in der nicht drin ist, was draufsteht.

Denn das war meine dritte, die größte Enttäuschung: Unsere Speicherkraftwerke waschen Atomstrom. Wie tun sie das? Sie kaufen den europäischen ENTSO-E-MIX, in dem etwa 30 Prozent Atomstrom sind, betreiben damit Pumpen, die Wasser in die Speicherseen des Maltatales und von Kaprun hinaufpressen, und lassen es dann als „sauberen“ Strom wieder herunter. Den zum Teil mit Atomstrom pietschnass gespritzten fröhlichen Verbund-Mann in den halb- bis ganzseitigen Zeitungsannoncen finde ich deshalb befremdlich.

Gewöhnung an die „Katastrophe“

Wie ist das mit der Hysterie nach Fukushima? Das ist meine zentrale Frage. Medien verdienen an Sensationsmeldungen, und da besonders an den negativen. Politiker sind vom Wohlwollen der Medien abhängig und müssen daher auf der Hysteriewelle surfen. Also war Fukushima eine „Katastrophe“ – langsam gewöhne ich mich an dieses Wort für einen schweren Technikschaden, unvergleichbar mit den Schäden durch den Tsunami. „Es waren ja 20.000 Tote!“ Dass kein einziger durch den Schaden am Kernkraftwerk verursacht wurde, sondern 100 Prozent durch den Tsunami, das wollen wir nicht so genau wissen.

Die Politiker behaupten, dass wir bald (2015? 2020? 2050?) völlig stromautark mit unserer erneuerbaren Energie sein werden. Vielleicht werden wir den Nachfolgern von Gaddafi, Ahmadinejad und Putin nicht einmal mehr Benzin für unsere Autos und Gas für unsere Heizungen abkaufen. Und unsere Wirtschaft werden wir offenbar überhaupt nur mehr mit handgedruckten Blaupausen betreiben.

Wir werden unsere Gasheizungen auf Strom umstellen und mit Elektroautos fahren. Verbund (und Kelag und Tiwag) schwimmen als Mitglieder der übermächtigen „Wasserlobby“ auf dieser Welle, und wenigstens der Verbund wird dadurch hoffentlich auch seinen Aktienkurs (ich muss ja schließlich auch Egoist sein!) wieder hinaufbringen.

Grüne Energieautarkie?

Moment: Woher wird der Strom für die Elektroautos kommen und der Strom, um die Gasheizungen zu ersetzen? Natürlich, so der „apg-Masterplan“ aus vielen hoch aufgestockten alten und aus neuen Talsperren, die dann noch mehr Atomstrom waschen werden und auch ein bisserl Windstrom von der Nordsee.

Solarstrom aus unserem nur beschränkt sonnigen Mitteleuropa wird dazu leider weiterhin wenig anfallen, aber vielleicht schafft ja Siemens die Kolonisierung der Saharastaaten, um sein Traumprojekt „Destertec“ aufzubauen. Und natürlich aus den Windrädern. Der Wind wird doch uns Österreicher nicht weiter so schäbig links liegen lassen, sondern permanent zum Orkan anschwellen. Halt: Als Naturliebhaber habe ich seit 40 Jahren etwas gegen die Riesenstauwerke. Die Zerstörung des Maltatals mit der Kölnbreinsperre war ein Verbrechen an der Nachhaltigkeit, und der künstliche Gebirgssee liefert weniger Strom als ein winziges Kernkraftwerk (jeder Block „unseres“ AKW Temelín liefert ein Vielfaches).

Ich hoffe, dass die alpinen Vereine unter Führung des Herrn Bundespräsidenten diesen Plänen noch einen Riegel vorschieben.

Auf den Boden der Realität!

Damit bin ich beim Schlusspunkt: Natürlich würde der Strom für die Elektroautos aus „unseren“, also den tschechischen Kernkraftwerken kommen, woher denn sonst? Die Donau und die anderen großen Flüsse sind nämlich fast völlig ausgebaut und haben doch im letzten Jahr nur etwa 35 Prozent unseres Strombedarfs geliefert.

Der Beitrag von Solarenergie, Windenergie und Energie aus Biomasse hält sich trotz hoher Subventionen in Österreich in engen Grenzen. Und die Gaskraftwerke, die hauptsächlich von Wien-Energie betrieben werden, verheizen die wertvollsten Rohstoffe, die wir unseren Nachkommen hinterlassen sollten. Übrigens sollten wir unseren Erben auch eine nicht völlig zugebaute Hochgebirgslandschaft hinterlassen, als größtes Kapital eines Tourismuslandes.

Also: Schluss mit der Atomhysterie! Zurück auf den Boden der Tatsachen! Selbst wenn jeder dazu fähige Österreicher seine Wohnzimmertemperatur auf 18 Grad herunterdreht, im Winter dicke Pullover trägt und statt Auto nur noch Fahrrad oder Öffis benutzt, wird bestenfalls der bisherige jährliche Zusatzbedarf von zwei bis drei Prozent an elektrischer Energie wegfallen.

Nur noch mit dem Rad ins Büro

Und auch dann werden wir wie vergangenes Jahr dreizehn Prozent unseres Stroms importieren müssen! Aber Sparen wäre schon einmal ein Anfang.

Lieber Herr Minister Berlakovich, der Sie hehre Ziele der grünen Energieautarkie verfolgen: Fahren wenigstens Sie mit dem Rad ins Büro, leben Sie im Büro und zu Hause bei 18 Grad? Würde insgesamt nicht viel bringen, aber wäre ein gutes Beispiel!

An die Wirtschaft stelle ich eine ähnliche Frage nicht, denn dass unsere Wirtschaft wirklich nur noch mit Blaupausen und im Internet arbeiten wird, das glaube und hoffe ich nicht im Land der Hämmer zukunftsreich.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2012)

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