. . . und auch der „Zigeunerbaron“ wird bald anders heißen

Diskriminierung durch eine Betroffenheitsindustrie: Die paternalistische Lobby liegt ständig auf der Lauer, um Opfer zu (er-)finden.

Nun ist schon wieder was passiert. Die Bezeichnungen „Mohr im Hemd“, „Zigeunerschnitzel“ und „Negerbrot“ sollen rassistisch und somit diskriminierend sein. Sagt wer? Ah so, die üblichen Vertreter einer Betroffenheitsindustrie, die sich kein Blatt vor den Mund nehmen, um selbstgerecht die Stimme – für angeblich Stimmlose – zu erheben.

Genau damit habe ich ein Problem. Denn um für jemanden sprechen zu können, muss dieser vorher entmündigt werden. Diese Bevormundung geschieht in immer schnellerer Abfolge. Sobald selbst legitimierte Schutzorganisationen die Deutungshoheit übernehmen, hat der Mohr seine Schuldigkeit getan. Schlag nach bei Shakespeare!

Kaffeeimporteure betrieben einst „Handel mit Kolonialwaren“. Und was soll an einem fachlich versierten Kaffeeröster im Logo verstörend sein? Ah, verstehe: rassistisches Klischee, dienstbotenartig gesenktes Haupt? Sollte er aber am Röstergebnis riechen – wer diskriminiert dann wen?

Soll der harmlose Auszählreim „Zehn kleine Negerlein“ direkt in den Umerziehungsgulag führen? Tradition, pfeif drauf! Dafür hat die burgtheatertaugliche deutsche Band „Die Toten Hosen“ schon die Variante „Zehn kleine Jägermeister“ ersonnen.

Wir, die Guten, dürfen alles

Aber halt, wie lange noch? Die Tierschutzorganisation Peta setzt den Kräuterlikör-Hersteller unter Druck mit einer „Jagd- und Tötungsverherrlichung von Tieren“. Wer so anklagt, weiß, was Sache ist. Seit 1998 wurden dem „Department of Agriculture and Consumer Services“ des US-Bundesstaates Virginia durch Peta-Mitarbeiter insgesamt 27.751 Tiere umgebracht. Etwa 95 Prozent der in Obhut gegebenen Hunde und Katzen wurden sofort getötet, um das Geld für die Versorgung effizienter einzusetzen. Peta beruft sich auf Sterbehilfe. Klar, wir sind die Guten. Wir dürfen das, denn wir haben das Empörungs- und Anklagemonopol.

Der „Zigeunerbaron“ wird bald anders heißen, wenn er weiter aufgeführt werden will. Mit Sehnsucht spitzt man die Ohren in Richtung englischer Sprachraum, wie leicht dort das Wort „Gypsy“ geht; in Frankreich gibt es immer noch die Zigarettenmarke „Gitanes“, trotz Sarkozys Roma-Zores.

Für eine Welt der Denkverbote

Den Berufsempörten der Betroffenheitsindustrie sitzt das Diskriminierungsschwert locker. Für eine bessere Welt – der Denkverbote und Bevormundung. Mit der abgeänderten Bundeshymne im „Land der Töchter, Söhne“ ist Gleichstellung eingetreten, oder? Die Bevölkerung lehnt diese Abänderung mehrheitlich ab. Ich auch! Mir ist der Autorenwille heilig, ebenso das Urheberrecht – was für die Bevormunder freilich kein Problem darstellt.

Als paternalistisch wird eine Handlung dann bezeichnet, wenn sie gegen den Willen, aber auf das Wohl eines anderen gerichtet ist. Diese Zwangsbeglückung wird von den Adressaten, um die es gehen soll, nicht selten als Bevormundung und Entmündigung angesehen. Im Paternalismus liegt die wahre Diskriminierung. Woher nehmen selbst ernannte Moral-, Tugend- und Sittenwächter ihre Arroganz, darüber zu bestimmen, wer sich wodurch beleidigt zu fühlen hat? Nicht mehr lange, und das „Eskimo-Eis“ ist Vergangenheit. Wer will „Inuk“ (Einzahl) oder „Inuit“ (Mehrzahl) schlecken?

Die Betroffenheitsindustrie kann mich. Aber ich bin keine Minderheit. Noch nicht, aber vielleicht schon bald – wenn alles gleichgeschaltet und politisch korrekt umerzogen worden ist.

Karl Weidinger (*1962) war Kreativdirektor und Werbetexter. Nun lebt er als Schriftsteller in Wien und im Burgenland, sein Anliegen ist die Gesellschaftskritik.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2012)

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