Die Krypta am Heldenplatz – ein Ort staatlicher Peinlichkeit

Gastkommentar: Österreichs bedeutendstes Heldendenkmal im Zentrum Wiens gehört sowohl gestalterisch wie inhaltlich grundlegend erneuert.

Derzeit ist die Krypta am Heldenplatz ein guter Ort für Ewiggestrige, ein guter Ort zum Feiern für Rechtsextreme, für alte und neue Nazis. Es ist ein guter Ort für jene Burschenschafter, die hier nächste Woche am 8. Mai wieder in gespenstischem Ambiente und mit Fackelzug die Niederlage Hitler-Deutschlands betrauern werden.

Der Heldenplatz hat diesbezüglich Tradition: Im April 2002 zogen einige Dutzend Neonazis im Verband mit Burschenschaftern mit Hakenkreuz-Armbinden und „Sieg Heil“-Rufen über den Platz, weil sie die Ehre ihrer Großväter durch die „Wehrmachtsausstellung“ beschädigt sahen. Am 15. März 1938 bejubelten hier Hunderttausende den von Adolf Hitler verkündeten „Anschluss“ an das Deutsche Reich.

Die Krypta am Heldenplatz ist für die Bundesregierung das zentrale österreichische Heldendenkmal. Hierher werden Staatsbesuche gebeten, um Kränze niederzulegen. Bundespräsident und Bundeskanzler tun das am 27. April und am 26. Oktober, Rekruten und Rekrutinnen des Bundesheeres legen hier ihr Gelöbnis ab.

Derzeit ist dieser Ort aber eine Zumutung für die meisten Bürgerinnen und Bürger dieses Staates. Die Krypta muss geschlossen und sowohl in gestalterischer als auch in inhaltlicher Hinsicht grundlegend erneuert werden, damit sie dem Selbstverständnis der Zweiten Republik gerecht werden kann.

Antifaschistischer Grundkonsens

Am Freitag dieser Woche findet im Parlament die heuer vorgezogene jährlich stattfindende Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen statt. Sie steht im Zeichen des Gedenktages gegen Gewalt und Rassismus und somit auch der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus.

Das ist Ausdruck jenes antifaschistischen Grundkonsenses, der seit 1945 Grundlage der Zweiten Republik ist und dessen bloße Nennung die Mandatare der Freiheitlichen heute noch regelmäßig in Wallung versetzt. Auch in unserem Wappen symbolisieren die gesprengten Ketten diesen Grundkonsens, sie stehen für die Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus.

Doch so schaut die Realität aus: In der Krypta wird unter der Aufschrift „In Erfüllung ihres Auftrages ließen sie ihr Leben“ „aller Soldaten“ der Weltkriege gedacht. In den dort aufbewahrten neun Totenbüchern finden sich die Namen der Gefallenen aus der Wehrmacht ebenso wie aus SS und Waffen-SS. Die Seiten werden „täglich umgeschlagen“, „sodass jeder Name immer wieder an oberster Stelle zu liegen kommt und die Vermerkten somit symbolisch nie vergessen werden“. Das erfährt man aus der 2011 herausgegebenen Broschüre des Verteidigungsministeriums zum „Österreichischen Heldendenkmal“.

Die zentrale Frage ist einfach: Warum spricht das Ministerium von einem „österreichischen“ Heldendenkmal? Warum wird in einer staatsoffiziellen Broschüre behauptet, die Angehörigen der Deutschen Wehrmacht und der Waffen-SS seien „für Österreich“ gefallen? Und gedenkt Österreich wirklich bewusst auch jener SS-Männer, die in den Vernichtungslagern „ihren Auftrag“ erfüllt haben? Ein starkes Stück!

Im Bundesheer selbst ist durch den sogenannten „Traditionserlass“ geregelt, dass ein Traditionsbezug zur Wehrmacht nicht hergestellt werden darf. Schon allein die Bestimmungen des Staatsvertrags sollten ausreichen, um einem solchen Bezug einen Riegel vorzuschieben. Doch das kümmert die Regierung nicht: Die Krypta ist de facto eine von der Republik Österreich hochoffiziell betriebene „Wehrmachtsgedenkstätte“.

Im Gegensatz zur Wehrmacht ist übrigens dem österreichischen Bundesheer in der Krypta praktisch kein Platz gewidmet. Da muss man sich schon sehr in das aufliegende Material vertiefen, um mitzubekommen, dass hier nicht ausschließlich der Armee der Monarchie und jener des Dritten Reichs gedacht werden soll.

Würdiges Erinnern an die Opfer

Wie wäre es, wenn sich der antifaschistische Grundkonsens der Republik auch in ihrem zentralen Denkmal wiederfinden würde? Wenn dort jungen Soldaten bei der Angelobung nicht der Gedanke an die „Pflichterfüllung“ der Wehrmacht im Ural und in Afrika nahegelegt würde, sondern ein würdiges Erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus? Am besten zusammen mit einem Hinweis auf den Widerstand gegen das NS-Regime und auf jene, die sich dem Dienst in der Wehrmacht entzogen haben.

Wie wäre es, wenn unsere Staatsgäste an ein Denkmal geführt würden, das dem Selbstverständnis eines offenen und sich seiner historischen Verantwortung bewussten Österreich gerecht wird? Wie wäre es, wenn unser Staat an jenem Ort, der wie kein anderer an die Selbstaufgabe Österreichs und den hysterisch bejubelten „Anschluss“ an Hitler-Deutschland erinnert, ein würdiges Denkmal für jene errichtete, die dieser „Anschluss“ und seine Folgen das Leben gekostet hat?

Der gesperrte „Weiheraum“

Eine Umgestaltung des bestehenden Denkmals durch ein wissenschaftliches Gremium – bitte nicht durch ministerielle Kommissionen – ist überfällig. Immerhin stehen drei Räume im Heldentor zur Verfügung: Nicht nur die Krypta bedarf einer Neugestaltung, sondern auch der „Weiheraum“.

Fast muss man dankbar sein, dass er im Gegensatz zur Krypta für die Öffentlichkeit gesperrt ist. Denn in diesem Raum ist vom Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft nicht die Rede, und die Verfolgung lässt sich durch ein kleines, nicht erläutertes Bild höchstens erahnen. Nur ausgewiesene Fachleute können einen Teil des KZ Theresienstadt erkennen – erläuternde Hinweise fehlen gänzlich. Dazu reihen sich Bilder vom Staatsvertrag, auch diese bar jeder Kontextualisierung. Ein Raum, der des unwürdigen Umgangs Österreichs mit seiner Geschichte durchaus würdig ist.

Der mit dem Heldenplatz verbundene „Anschluss“ war die Selbstaufgabe österreichischer Staatlichkeit. Dagegen haben Sozialdemokraten und Kommunisten ebenso gekämpft wie religiös motivierte Patrioten, aber eben auch jene Wehrmachtssoldaten, die sich weigerten, für ein „Großdeutsches Reich“ und die rassistischen Ziele des NS-Staates zu kämpfen und die den verbrecherischen Angriffs- und Vernichtungskrieg abgelehnt haben.

„Niemals vergessen“

Laut Begleitbroschüre der Bundesregierung sollen die Soldaten von SS, Waffen-SS und Wehrmacht „symbolisch nie vergessen werden“. Das lässt auf geradezu zynische Weise jenes mahnende „Niemals vergessen“ nach 1945 anklingen, mit dem die Erinnerung an das Leid der Verfolgten wachgehalten werden sollte. Für diese Erinnerung aber brauchen wir am Heldenplatz keine Ewiggestrigen und keine Burschenschafter. Und kein Gedenken von Bundesregierung, Staatsgästen, österreichischen oder anderen Soldaten an diesem an staatlicher Peinlichkeit nicht zu überbietenden Ort.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comDr. Harald Walser (*18. 4. 1953 in Hohenems) studierte Geschichte und Germanistik an der Universität Innsbruck. Dissertation über „Die illegale Tätigkeit der NSDAP in Tirol und Vorarlberg“. Seit 2003 Direktor am Gymnasium Feldkirch, seit 2008 Abgeordneter zum Nationalrat und Bildungssprecher der Grünen. [Clemens Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2012)

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