Cowboys und Spekulanten: Europa und die „bösen Amis“

Der Anti-Amerikanismus der Europäer ist überaus anpassungsfähig. Er wird auch künftig zeitgemäße Konjunkturen erleben.

Der Wahlkampf zur US-Präsidentschaftswahl 2012 hat bisher die Gemüter in Österreich relativ wenig erregt. Diese Zurückhaltung steht im Gegensatz zur Situation von vor etwa einem Jahrzehnt, als die USA im Zentrum des allgemeinen Interesses standen und die Amerika-Debatten ihren Höhepunkt erreichten. Ein Rückblick auf das letzte Jahrzehnt im Zeichen des Terrors vom 11. September 2001 verdeutlicht diese Diskrepanz nur allzu gut.

Die Anschläge von 2001 waren zweifellos die bisher extremste Manifestation eines gewalttätigen, die USA fundamental negierenden Anti-Amerikanismus. Entsprechend groß war die Betroffenheit fast überall auf der Welt. Auch in Österreich zeigte man sich über alle Parteigrenzen hinweg über den Terror entsetzt und solidarisierte sich mit den angegriffenen USA.

Doch schon bald nach dem ersten Schock bekam die spontane Solidarität Risse, und es verlagerte sich der Diskurs – weg von den Opfern und hin zu den möglichen Ursachen und Folgen von 9/11.

Die Angst vor einem (Welt-)Krieg dominierte die öffentliche Stimmung in Europa, wobei es zu diesem Zeitpunkt noch nicht um die tatsächliche Reaktion der US- Regierung ging, sondern um den ihr präventiv unterstellten blinden „Rachefeldzug“. In manchen Reaktionen zeigte sich auch eine gewisse Genugtuung, ja Schadenfreude über die Demütigung der Supermacht und über die Tatsache, dass es nun „die Amis selbst einmal erwischt“ habe.

Bedürfnis nach Erklärung

Es kam zu Opferaufrechnungen, Verschwörungstheorien blüh(t)en keineswegs nur im paranoiden Dickicht des Internets. All das zeigt, wie schwer es vielen hierorts offenbar fiel, die USA einmal vorbehaltlos als Opfer gelten zu lassen.

Das Bedürfnis nach Erklärungen der monströsen Tat war groß – doch manche der verwendeten Deutungsmuster gerieten zu Verharmlosungen des Terrors und zu Schuldzuweisungen an die USA. Während die einen die Täter zu irrationalen und religiösen Fanatikern stempelten, suchten die anderen die Ursachen vorrangig in der herrschenden sozialen Ungerechtigkeit und interpretierten die Anschläge gewissermaßen als Aufstand der Armen und Unterdrückten gegen die Reichen und Mächtigen dieser Welt.

Nach dem Motto „Wer Wind sät, wird Sturm ernten“ wurde vor allem die amerikanische Politik der letzten Jahrzehnte für die Anschläge verantwortlich gemacht. Dabei wurden meist sämtliche politische Verfehlungen der USA aufgelistet – nicht nur die amerikanische Nahostpolitik, über die man in diesem Zusammenhang tatsächlich diskutieren konnte, sondern das gesamte „Sündenregister“ der USA aus Vergangenheit und Gegenwart. Dahinter stand die Logik, dass die Amerikaner an den Anschlägen „letztendlich selbst schuld“ seien – was einer Opfer-Täter-Umkehr gleichkam. Unter dem Eindruck der Kriege in Afghanistan und im Irak hat sich diese Amerika-kritische Tendenz noch verstärkt. Es kam es zu einer massiven Imageverschlechterung der USA in ganz Europa (das belegen alle Meinungumfragen), und George W. Bush hat sich als „Feindbild Nr. 1“ in die historische Ahnenreihe der unbeliebtesten amerikanischen Präsidenten aus österreichischer Sicht (Wilson, Roosevelt, Reagan) eingereiht.

Angesichts dieser Entwicklung sprachen bekannte Intellektuelle vom Anti-Amerikanismus als europäische „Lingua franca“ (Andrei Markovits) und als „Master Narrative of the Age“ (Tony Judt), oder sie erklärten das noch junge 21. Jahrhundert gar zum „Anti-American Century“ (Ivan Krastev). Wie sind diese Befunde aus der zeitlichen Distanz und aus einer historischen Perspektive zu bewerten?

Bush, das ideale Feindbild

Keine Frage, Kritik an den USA war im Jahrzehnt nach dem 11. September allgegenwärtig und teilweise durchaus berechtigt. Auch Präsident Bush bot sich aufgrund seiner Politik und seines Habitus als ideales Feindbild an.

Aber vielfach ging die USA-Schelte nach 9/11 über eine sachliche Kritik an der US-Politik und am Irak-Krieg hinaus. Sie war oft nur ein Vorwand für ohnehin vorhandene Vorurteile und auch nicht immer frei vom Dünkel der moralischen Überlegenheit.

Immer wieder wurden antiamerikanische Ressentiments aktiviert, wobei man sich – je nach politischer Sozialisation und Generation – aus dem historischen Fundus des Anti-Amerikanismus (der in Europa eine lange Tradition hat) bediente. Eine klare Trennlinie zwischen einem „rechten“ und „linken“ Anti-Amerikanismus lässt sich heute kaum mehr ziehen, wie etwa die Globalisierungskritik im Kontext von 9/11 gezeigt hat.

Allerdings ist einschränkend zu sagen, dass es auch im letzten Jahrzehnt starke proamerikanische Haltungen in Europa gegeben hat, man von keiner einheitlichen europäischen Position ausgehen kann und der europäische AntiAmerikanismus trotz aller Hartnäckigkeit der Ressentiments als vergleichsweise gemäßigt und politisch wirkungslos einzustufen ist.

Programmierte Enttäuschung

Nicht Europa ist heute das Kerngebiet des Anti-Amerikanismus, sondern seine radikalsten Formen finden sich in den Peripherien der Globalisierung: im arabischen Raum sowie in Teilen Lateinamerikas, Südostasiens und Afrikas.

Mit der Wahl Barack Obamas und seiner geradezu euphorischen Aufnahme in Europa scheint das (kurze) antiamerikanische Jahrzehnt sein Ende gefunden zu haben. Der intellektuelle Obama stellte das Gegenbild zum „Cowboy“ Bush dar. Er wurde als „unamerikanisch“ wahrgenommen und war wohl gerade deshalb in Europa so geliebt.

Eine Enttäuschung war geradezu programmiert und setzte auch prompt ein. Die Begeisterung für Obama ist merklich abgeflaut und damit – so scheint es – auch das Interesse für die USA. Der Tod Osama bin Ladens und der Arabische Frühling, der vielfach als „Antithese zu 9/11“ interpretiert wird, haben ebenfalls einen Schlussstrich unter den 11. September gezogen und Amerika im öffentlichen Diskurs in den Hintergrund gerückt.

Bestandteil unserer Kultur

Mittlerweile hat sich das antiamerikanische Ressentiment wieder stärker auf die kulturelle und ökonomische Ebene verlagert und findet seine Nahrung an Nebenfronten: Etwa in der Affäre Strauss-Kahn, bei der die typisch amerikanische Prüderie und Political Correctness angeprangert wurden. Oder in Form einer undifferenzierten Kapitalismus- und Globalisierungskritik, die sich pauschal gegen das „Finanzkapital“ und die „Börsenspekulation“ an der Wallstreet richtet und teilweise mit antiamerikanischen (und antisemitischen) Versatzstücken operiert.

Die „Sorge“, dem Anti-Amerikanismus könnte einmal der Stoff ausgehen, ist jedenfalls unbegründet. Ein gewisses Maß davon gehört – allein schon zum Zweck der Abgrenzung – zum Bestandteil unserer Kultur.

Wie die Geschichte zeigt, ist er überaus anpassungsfähig und wird auch künftig seine zeitgemäßen Konjunkturen erleben.

Zur Autorin


E-Mails an: debatte@diepresse.comMargit Reiter, Dozentin für Zeitgeschichte an der Uni Wien. Sie forscht zu den Themen Anti-Amerikanismus, Israel-Kritik und Antisemitismus. Im Sommersemester 2012 als Gastprofessorin an der Uni Salzburg tätig. Jüngste Publikation: Europa und der 11. September 2001 (hg. von Margit Reiter und Helga Embacher), Böhlau Verlag 2011. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.