Als die europäische Landkarte immer brauner wurde

Ein Geschichtemagazin aus Hamburg widmet sich "Europas Weg in den Faschismus". Von wegen "sanfte" Mussolini-Diktatur...

Schon wieder das Thema Faschismus? Schon wieder das Schwingen der Nazi-Keule? Natürlich besteht immer die Gefahr, dass bei der Massenproduktion von Fernsehdokumentationen, Büchern und Artikeln zum Thema Hitler, Nationalsozialismus und Krieg beim Publikum das Gegenteil der intendierten zeitgeschichtlichen Aufklärung eintritt: nämlich Ermüdung und Abstumpfung. Aber es gibt im breiten Medienangebot immer Ausnahmen. Dazu gehört die neueste Ausgabe von „Zeit Geschichte“ aus dem Hamburger Zeit-Verlag: „Europas Weg in den Faschismus“.

Der Fokus in diesem empfehlenswerten Heft richtet sich nicht auf das Dritte Reich, sondern Historiker und Publizisten widmen sich den Faschismen in ganz Europa während der 1920er- und 1930er-Jahre. Die Entwicklungen in sonst weniger beachteten Ländern wie Portugal, Rumänien oder Polen werden beschrieben, auch ein Beitrag zum Austrofaschismus fehlt nicht (Joachim Riedl, sachlich-nüchtern).

Besonders lesenswert sind die Beiträge, die sich mit dem „Mutterland des Faschismus“, Benito Mussolinis Italien, befassen. Volker Weiß (Uni Hamburg) beschreibt das anfänglich so enge Verhältnis zwischen Hitler und Mussolini. Er geht auch auf die gern übersehene Beteiligung der Italiener am Überfall auf die Sowjetunion ein: 230.000 italienische Soldaten standen Mitte 1942 im Osten. Sie ließen sich in den deutschen Unterdrückungsapparat einspannen, machten beim Massenmord an Juden und Kommunisten mit. Aram Mattioli (Uni Luzern) wiederum sieht es als längst widerlegt an, dass die Mussolini-Diktatur vergleichsweise „sanft“ und „gutartig“ (so Silvio Berlusconi 2003) gewesen sei: „Der ,Duce‘ hat Italien in die größte Katastrophe seiner Geschichte geführt, er ist verantwortlich für den Tod von mindestens einer Million Menschen.“

Und heute? Angesichts frech auftretender und offen rassistischer Rechtsextremisten wie in Ungarn (Jobbik), vor einer Woche in Tschechien, in Griechenland („Goldene Morgendämmerung“) oder in Bulgarien – gibt es da Parallelen zu den 1930er-Jahren? Nein, argumentiert Sven Rechardt (Uni Konstanz), „die gesellschaftliche und politische Stimmung war damals doch eine ganz andere“. Und auch die ungarische Philosophin Agnes Heller lässt zwar an Premier Viktor Orbán kein gutes Haar („ein Diktator“, „ein Bonapartist“, „ein Zyniker“), erklärt aber auch: „Man muss als Jude heute in Ungarn nicht um sein Leben fürchten. Die Neonazis machen mir keine Angst.“

Die in Graz herausgegebene Zeitschrift „WAS“ widmet ihre jüngste Ausgabe dem Thema „Schöner scheitern“. Ein roter Faden ist in den 20 Beiträgen nicht so wirklich erkennbar, es geht gewissermaßen quer durch den Gemüsegarten. Erhard Busek (aktuell) und Rainer Münz (historisch) gehen der Frage nach, ob Europa gescheitert sei. Busek ist durchaus selbstkritisch, beklagt, dass es seiner Generation nicht gelungen sei, die Bedeutung des Friedensprojektes Europa auch jüngeren Generationen zu vermitteln, „sonst würden die Europadiskussionen anders aussehen“.

Der Physiker Peter Schmid unternimmt einen Vergleich zwischen Revolutionen und Revolutionären in der Physik und in der Gesellschaft, sieht zumindest Ähnlichkeiten in der inneren Motivation der jeweiligen Akteure, verlegt aber fälschlicherweise die Kuba-Krise ins Jahr 1960 (statt 1962). Alles in allem ist diese Zeitschrift aber hauptsächlich nur für Leser geeignet, die sich in der hochgeistigen Welt wohlfühlen. Die sind gewiss auch willkommen, wenn das Heft am 10.September in der Buchhandlung Leporello in der Wiener Singerstraße präsentiert wird (Beginn: 19 Uhr).

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.