Die kuriose Mär vom gegen Spionage immunen Österreich

Ein Grazer Geheimdienst-Journal zeigt auf, wie ausgeprägt gerade die Wirtschaftsspionage im Kalten Krieg war.

Von wegen, Österreich sei im Kalten Krieg gewiss ein Tummelplatz für Agenten aus Ost und West gewesen, die sich munter gegenseitig ausspioniert hätten, während sie das neutrale Gastland selbst aber nur marginal interessiert habe. Auch wieder so eine kuriose Mär – wie jene über die Schutzfunktion der Neutralität, die die politische Klasse der Zweiten Republik der Bevölkerung solange eingehämmert hatte, bis sie sie tatsächlich glaubte. Nein, die Kundschafter aus dem Ausland hatten auch großes Interesse an österreichischen Dingen – vor allem im Bereich der Wirtschaft.

Die neueste Ausgabe des in Graz erscheinenden „Journal für Geheimdienste, Propaganda und Sicherheitsstudien“ („JIPSS“) wirft ein grelles Licht auf die Intensität der Wirtschaftsspionage, der große österreichische Unternehmen ausgesetzt waren. In dem Aufsatz „Die Stasi in Österreich“ rekonstruieren die beiden Forscher Angela Schmole und Jochen Staadt das Spionagenetz, das der DDR-Agent Lothar Schramm ab den 1960er-Jahren in Österreich aufbaute.

Bis in die 80er-Jahre berichteten angeworbene österreichische Informanten (überwiegend aus dem Umfeld der KPÖ) Firmen-Interna aus der Voestalpine, Steyr Daimler Puch, Austria Metall AG oder der Elektrizitätswirtschaft AG in Wien nach Ostberlin; z. B. über neue Produktions- und Prozessentwicklungen, Testberichte, Forschungsergebnisse usw. 1980/1981 wurden österreichische Zuträger aber auch eingesetzt, um die hierzulande sich aufhaltenden polnischen Oppositionellen auszukundschaften.

Österreichische Unternehmen wurden aber nicht nur ausspioniert, manche machten gute – und äußerst dubiose – Geschäfte mit Partnern aus der DDR: „Österreichische Firmen trugen nach Kräften zur Abschirmung des Waffenhandels der DDR bei und besorgten ihren Partnern aus dem Bereich kommerzielle Koordinierung (des DDR-Staatssicherheitsministeriums) immer wieder Waren, die der DDR wegen des westlichen Embargos auf dem Weltmarkt eigentlich gar nicht verkauft werden durften.“ In einem weiteren hochinteressanten Aufsatz dieser „JIPPS“-Nummer beschreibt Helmut Müller-Enberg, wie westliche Geheimdienste erstmals an ein Porträt des legendären DDR-Superspions Markus Wolf herankamen (im Juli 1978 in Schweden, wo Wolf mit dem bayerischen SPD-Politiker und Stasi-Informanten Friedrich Cremer zusammentraf und vom schwedischen Inlandsgeheimdienst fotografiert wurde).

Die Vierteljahreszeitschrift „Europäische Rundschau“ geht schon seit einiger Zeit in einer Serie der Frage nach, ob in den Ländern Ost- und Mitteleuropas heute der Nationalismus die stärkere Kraft als die Europäisierung sei. In Heft 3/2013 untersucht unter anderem der weltweit anerkannte Osteuropa-Historiker Andreas Kappeler von der Uni Wien das „Gespenst des ukrainischen Nationalismus“. Der Professor gibt dabei Entwarnung: Auch wenn sich das Stereotyp vom ukrainischen Nationalismus und Antisemitismus hartnäckig halte, „hat es seit Jahrzehnten keine reale Grundlage“. Und: „Es gab und gibt den ukrainischen Nationalisten und Antisemiten ebenso wenig wie den russischen, ungarischen oder österreichischen.“ Es sei Zeit, diese alten Stereotype endlich aufzugeben.

Hingewiesen sei auch noch auf den Aufsatz „Weniger Israel“ von Jeffrey Goldberg in diesem Heft. Mehrfach warnt Goldberg darin, dass Israel angesichts der erstarkenden ultraorthodoxen, frauenfeindlichen, intoleranten, xenophoben Haredim-Bewegung in Gefahr sei, „zu einer Art jüdischem Saudiarabien“ zu werden.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2013)

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