"Bleibt mir bloß weg mit dem militärischen Gelumpe"

Frühzeitig ist eine Publikationswelle zum Ersten Weltkrieg angerollt. Auch Spezialmagazine stürzen sich auf das Thema.

Selten noch hat es eine derartige Publikationsflut zu einem Ereignis der jüngeren Geschichte gegeben: So gut wie jeder Verlag im deutschsprachigen Raum scheint sich um eine oder gleich mehrere eigene Veröffentlichungen zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren bemüht zu haben. Dabei ist das Stichdatum erst der 28. Juni 2014. Werden sich nach der Riesenwelle an Büchern zum Massensterben in den Schützengräben von 1914 bis 1918, die diesen Herbst über die Leser schwappt, im kommenden Jahr noch viele für das Weltkriegsgedenken interessieren?

Das ist keine Kritik daran, dass das Thema eine solche Aufmerksamkeit von Geschichtsforschern wie Hobby-Historikern erfährt. Immerhin fördert das neue Erkenntnisse zum Ersten Weltkrieg zu Tage. Irritierend ist nur, dass aufgrund des Drucks der Verlage die Welle der Erinnerungsliteratur inzwischen immer früher losgeht. Werden sich etwa die neuen Bücher zu 100 Jahre Russische Oktoberrevolution schon 1915 in den Buchläden stapeln?

Zurück zum Ersten Weltkrieg: Wer sich vor den dicken Schmökern zum Thema ein wenig schreckt, wen das Thema aber grundsätzlich interessiert, dem seien zwei Publikationen empfohlen: „Damals“, ein monatlich erscheinendes Geschichtsmagazin, hat einen kartonierten, reich bebilderten Sonderband zum Ersten Weltkrieg zusammengestellt (Theiss Verlag, Darmstadt, € 24,95). Deutsche Spitzenhistoriker wie Gerd Krumeich (Uni Düsseldorf), Gerhard Hirschfeld (Uni Stuttgart), Wolfgang Kruse (Fernuni Hagen) und andere analysieren da Vor- und Nachgeschichte des Krieges, durchleuchten die Kriegsschauplätze in Europa, Afrika sowie Asien ebenso wie die „Heimatfront“.

Referiert wird der neueste Stand der Forschung und ein Überblick zu den Kontroversen der Historiker etwa zur Kriegsschuldfrage gegeben. Professor Krumeichs Urteil: „Zweifellos hatte die unverantwortliche Erpressungs- und Bluffpolitik der deutschen Regierung den größten Anteil an der Entfesselung des Krieges. Aber nicht allein die Deutschen hatten Schuld an den bis ins Unerträgliche gesteigerten Spannungen der Vorkriegszeit.“

Als Europa im Inferno versank“ ist der Untertitel des vom Spiegel-Verlag herausgegebenen Magazins „Geschichte“ zum Ersten Weltkrieg (5/2013). Historiker kommen auch hier zu Wort, jedoch in Interviews; Autoren sind überwiegend „Spiegel“-Redakteure. Auch dieses Heft ist gut gegliedert und geschrieben, aufregend illustriert. Dem Innenleben der wichtigsten kriegführenden Staaten – Österreich-Ungarn, Frankreich, Großbritannien, USA, Russland und dem deutschen Kaiserreich werden eigene Beiträge gewidmet.

Aber es geht nicht nur um die große Politik: Da wird etwa aus Notizen des einfachen deutschen Soldaten Joachim Mohr zitiert, der die Hölle von Verdun überlebte und seinen Nachkommen einschärfte: „Bleibt mir bloß weg mit dem militärischen Gelumpe.“ Ein französischer Soldat beschreibt seiner Liebsten das apokalyptische Bild eines Massengrabs mit „tausenden gekrümmten, zerstückelten, aufeinander gestapelten Leichnamen“ und schließt seinen Brief: „... denn unersättlich ist der Krieg“. Soll man all dem im nächsten Jahr in Feierlichkeiten gedenken? „Nein“, sagt der französische Weltkriegs-Historiker Stéphane Audoin-Rouzeau, „ein Desaster kann man nicht feiern. Vielleicht wäre es besser, dem Gedenken zu misstrauen und den Jahrestag verstreichen zu lassen. Erinnert man sich doch, sollte das Tragische im Mittelpunkt stehen ...“

Emails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2013)

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