Krisenanfällig, aber auch zäh und anpassungsfähig: Der Kapitalismus

"Geo Epoche"zeichnet die Geschichte des Wirtschaftssystems vom 14. Jahrhundert bis in unser "Zeitalter der Gier" nach.

Die Währungskrise, in die Russland letzte Woche hineingeraten ist, kam nicht unerwartet. Scharfe Beobachter wie jene des britischen Magazins „Economist“ haben schon vor Wochen prophezeit, dass sich die russische Wirtschaft auf Crashkurs befinde. Klar, dass die im Geheimdienstmilieu sozialisierten heutigen russischen Machthaber die Hauptschuld für die ökonomische Misere sogleich im Ausland suchten. Die westlichen Sanktionen wegen der russischen Landräuberei in der Ukraine mögen auch eine gewisse Rolle spielen, aber eine Währungskrise diesen Ausmaßes hat immer mehrere Ursachen. Vor allem, kommentierte die „Neue Zürcher Zeitung“, braucht es für einen „derartigen Sturm aus Hysterie und Spekulation“ eines: „ein Klima hochgradiger Verunsicherung. Und dafür trägt Wladimir Putin selbst die Verantwortung.“

Das kapitalistische System hat eben seine ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten, das müssen die russischen Geheimdienstler an der Staatsspitze gerade zerknirscht zur Kenntnis nehmen. Wir haben da eine kleine Leseempfehlung für Sie für die kommenden Feiertage: „Der Kapitalismus. Wie ein Wirtschaftssystem die Welt eroberte“, ist die Nummer 69 des Hamburger Geschichtsmagazins „Geo Epoche“. Vom 14. Jahrhundert bis zum Kollaps der Finanzindustrie 2008 an der Wall Street mit verheerenden Folgen für die Weltwirtschaft spannt sich der Bogen der Beiträge in diesem Heft.

Unter den zahlreichen lesenswerten Beiträgen sind drei die jüngere Vergangenheit beschreibende Essays besonders hervorzuheben: Reymer Klüvers Analyse der Weltwirtschaftskrise 1929 („sie hat nachhaltig den Glauben daran erschüttert, dass die kapitalistische Wirtschaftsordnung sich grundsätzlich selbst zu regulieren vermag“), Mathias Mesenhöllers Bericht über den erbitterten Kampf zwischen dem britischen Gewerkschaftsboss Arthur Scargillund der (letztlich siegreichen) neoliberalen Premierministerin Margaret Thatcher und schließlich der von einem Autorenteam verfasste Aufsatz über Vorgeschichte und Verlauf der finanziellen Kernschmelze an der Wall Street im Herbst 2008. „Im Zeitalter der Gier“ zählt sicher zu den besten journalistischen Aufarbeitungen der Pleite der Lehman-Investmentbank und ihrer Folgen im deutschsprachigen Raum. Die Autoren kommen da zu dem Schluss: „Es ist die Widerstandsfähigkeit des kapitalistischen Systems, die auffällig ist. Seine Fertigkeit, unter den unterschiedlichsten Bedingungen zu funktionieren.“ Sie grübeln aber auch: „Welche Ordnung und welche Regeln müssen dem Kapitalismus auferlegt werden, um eine annehmbare Zukunft zu ermöglichen?“

Einen neuen Chefredakteur hat die bereits seit 1951 in Wien erscheinende Zeitschrift „Das jüdische Echo“: den früheren „Profil“- und „Standard“-Außenpolitikredakteur Erhard Stackl. Die Nummer 63/2014 blickt zurück auf das Wendejahr 1989 – und stellt nachdenklich die Frage: „Vom Aufbruch in die Freiheit zurück zu Hass und Kaltem Krieg?“ Das Heft mit 31 Beiträgen ist zwar ausgesprochen solide geworden, was aber weitgehend fehlt, sind Überraschungen – sowohl was Autoren, Themen und Blickwinkel betrifft.

Immerhin findet man einen überraschenden Ansatz in Alexia Weiss' Blick zurück auf den Wiener Mexikoplatz, in den 1980ern und 1990ern ein quirliger Schauplatz jüdischer Geschäftstüchtigkeit. Und auch Vladimir Vertlibs Bericht über die Überbleibsel des „real existierenden Sozialismus“ in den Köpfen von sogenannten Ostblockmenschen bringt etliche erhellende Erkenntnisse.

Emails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2014)

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