Putins Abenteuer in Syrien: Das gute und das böse Szenario

Bei seinem militärischen Engagement geht es Moskau vor allem um Rückendeckung für das alawitische Regime.

Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat gerät Russland tiefer in den syrischen Bürgerkriegssumpf, seit Präsident Wladimir Putin im September den Marschbefehl an die Streitkräfte gab. Es ging Putin dabei vor allem darum, das Assad-Regime zu retten, das in diesem Sommer in die Defensive geraten war, sodass ein Kollaps immer wahrscheinlicher wurde. Kein Assad-Regime mehr hätte wohl bedeutet: kein enger Verbündeter Russlands mehr im Nahen Osten, keine Stützpunkte mehr im Mittelmeer nach Schließung der Marinebasis Tartus und des Fliegerhorsts Latakia in Syrien.

Durch das militärische Engagement in Syrien hat Moskau jetzt einen Fuß in der Tür, wenn sich das Staaten- und Machtgefüge im Nahen und Mittleren Osten neu formiert. Diverse internationale Publikationen beschäftigen sich mit dem russischen Engagement in Syrien. In der polnischen Zeitschrift „New Eastern Europe“ offeriert der Krakauer Nahost-Experte Lukasz Fyderek zwei Szenarien: Nach dem optimistischen gelingt es den syrischen Regierungstruppen dank russischer und iranischer Unterstützung, den Westen und das Zentrum des Landes wieder unter Kontrolle zu bringen. Russland würde seine Stützpunkte behalten und im anschließenden Friedensprozess eine wichtige Rolle spielen. Aus Moskauer Perspektive müsse Bashar al-Assad dabei nicht unbedingt an der Macht bleiben, sehr wohl aber die alawitisch dominierte Baath-Partei.

Nach Fydereks pessimistischem Szenario schließen sich angesichts der russischen und iranischen Offensive sämtliche Oppositionsmilizen zum Kampf gegen Assad zusammen, werden von Saudiarabien, der Türkei und Katar unterstützt und bedrängen die Regierungstruppen dermaßen, dass das Regime in Damaskus schließlich kollabiert. Russland muss danach seine Truppen verstärken, um wenigstens das auf einen Küstenstreifen geschrumpfte „Alawitistan“ gegen die vereinigte Oppositionsfront zu verteidigen. Das könnte in jeder Hinsicht sehr teuer für Putin werden.

„Moderne Kriege“, zitiert das wieder auferstandene US-Magazin „Newsweek“ den New Yorker Professor Mark Galeotti, „beginnen meist erfolgreich, mit trügerischen Bomben-Volltreffern. Aber sie können rasch eine schmutzige Wendung nehmen – hin zum Verzweifelten, Unerwarteten, Widerspenstigen, noch nie Dagewesenen. Bei seinem Syrien-Abenteuer könnte sich Russland rasch in einer Situation finden, in der es die Initiative verliert, sich mit einer Reihe gefährlicher und widerwärtiger Optionen konfrontiert sieht.“

Kommt tatsächlich das dicke Ende für Putin, werden wohl sogleich die Schuldigen identifiziert werden – nur nicht Putin selbst. Schon jetzt grassieren in Russland vielerlei Prophezeiungen vom nahenden Weltende, die Victor Shnirelman in dem Aufsatz „Russland und die Apokalypse“ in der neuesten Nummer der europäischen Revue „Transit“ zusammenfasst. Für orthodoxe Fundamentalisten, rechtsradikale Verschwörungstheoretiker und fanatische Monarchisten ist die Globalisierung eine von Juden und Freimaurern angezettelte Intrige, um Russland, das letzte Bollwerk gegen den Antichristen, zu schwächen und niederzuhalten.

Die russisch-orthodoxe Kirche würzt in diesem antisemitischen Eintopf immer kräftig mit. Shnirelman schreibt freilich auch, dass trotz ihrer massiven Propaganda seit 25 Jahren orthodoxe Monarchisten und nationalistische Fanatiker ihr Ziel nicht erreicht hätten: Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sei nicht empfänglich für diese Propaganda, der Antisemitismus nicht massenwirksam.

Emails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2015)

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