Kollaboration mit den Nazis: Die Zwickmühle des Mitmachens

Ein gelungenes Heft des Geschichtsmagazins "Damals" untersucht, welche Helfer die Deutschen in Europa hatten.

Vergangenheit, die nicht vergehen will“, übertitelte der 2016 verstorbene Historiker Ernst Nolte einen Aufsatz in der „FAZ“ und löst damit vor 31 Jahren in der Bundesrepublik den Historikerstreit aus, eine leidenschaftliche und hochinteressante Debatte unter Intellektuellen. Vergangenheit will vor allem dann nicht vergehen, wenn sie politisch instrumentalisiert wird. Gerade versucht das wieder die nationalkonservative PiS-Regierung in Polen. Nicht zum ersten Mal erhebt sie an Deutschland die Forderung nach weiteren Reparationszahlungen – wohl wissend, dass diese Sache schon von früheren Regierungen geregelt wurde und da nichts mehr zu holen sein wird. Aber gut, PiS verfolgt mit dieser Forderung ja auch in erster Linie innenpolitische Ziele: die Mobilisierung ihrer Anhängerschaft durch das Schüren germanophober Ressentiments. Das hatte einst auch die kommunistische Polnische Vereinigte Arbeiterpartei schon gut beherrscht.

Was die deutschen Eroberer nach 1939 in Polen an Tod und Zerstörung angerichtet haben, ist inzwischen gut erforscht – von polnischen wie von deutschen Historikern. Lücken gibt es noch in der äußerst heiklen Frage, ob und inwieweit Polen selbst den Nazi-Besatzern bei ihrem Vernichtungswerk zur Hand gegangen sind. Lange hieß es, Polen sei ein „Land ohne Quislinge“ gewesen, bis der Historiker Jan Tomasz Gross 2001 sein Buch über das Pogrom von Jedwabne veröffentlichte. 1941 ermordeten Einheimische in dieser polnischen Kleinstadt Hunderte Juden. Die an die Veröffentlichung dieses Buches anschließende heftige Diskussion wirkte in der polnischen Gesellschaft wie ein reinigendes Gewitter.

Der an der Uni Klagenfurt lehrende Dieter Pohl erinnert in einem Essay im Geschichtsmagazin „Damals“ an das damalige Geschehen und kritisiert, dass die heutige PiS-Regierung in Warschau „zum alten Bild einer ,unbefleckten‘ Nation zurückzukehren versucht, obwohl die Geschichtsforschung daran längst Korrekturen vorgenommen hat“. Ebenso habe die Regierung Orbán in Ungarn „die kritische Geschichtsforschung weitgehend zerschlagen und pflegt einen neuen nationalistischen Geschichtsmythos, in dem die verheerende Rolle der ungarischen Administration beim Holocaust 1944 kaum mehr der Erwähnung wert ist“.

Kollaborateure. Die Helfer der Deutschen im besetzten Europa“ ist das Spezialthema des Augustheftes von „Damals“ – und als Einführung in diese hochkomplexe, ja schmerzhafte Problematik ist es wirklich gelungen. Eine Riege jüngerer Historiker greift verschiedene Aspekte der Kollaboration auf, auch weniger bekannte: etwa, dass im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren offizielle tschechische Stellen und Teile der Bevölkerung die antijüdische Politik der Nazi-Besatzer mittrugen. In einem weiteren Beitrag wird das heute vor allem von der russischen Propaganda verbreitete Stereotyp, die Ukrainer hätten sich im Zweiten Weltkrieg als Sympathisanten der „Faschisten“ und als Antisemiten erwiesen, sehr differenziert analysiert. Auch der Sonderfall Dänemark wird behandelt, ebenso wie die Hunderttausenden, die in vielen besetzten Ländern Europas für die Waffen-SS rekrutiert bzw. zwangsrekrutiert wurden. Chefredakteur Stefan Bergmann formuliert richtig: „Kollaboration ist nichts Eindeutiges – die Übergänge zwischen schlichtem Ertragen und aktiver Unterstützung waren eher fließend.“ Und ja, wie immer man das Tun der damals Besetzten beurteilen mag: Hauptsache war, den Nazi-Horror zu überleben.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2017)

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