Als Verbrechen der Wehrmacht noch Anführungszeichen hatten

22.Juni 1941. Deutsche Fachpublikationen widmen sich dem Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion vor 70 Jahren.

Morgen jährt sich zum 70. Mal der Jahrestag des Beginns des deutsch-sowjetischen Krieges, des nach Ansicht vieler Historiker furchtbarsten Gemetzels der Kriegsgeschichte. Grund genug, außertourlich eine „Gedankenlese“ einzuschieben. Es gilt, auf deutsche Publikationen hinzuweisen, die sich dem heimtückischen Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion widmen. Jawohl, heimtückischer Überfall. Denn die These von einem „Präventivkrieg“ (Hitler sei einem bevorstehenden Angriff Stalins nur zuvorgekommen), vor 70 Jahren schon von den Nazis selbst in die Welt gesetzt, hat heute – außer in den einschlägigen Kreisen – so gut wie keine Verfechter mehr.

Sehr gut gelungen ist das Heft 2/2011 der „Zeit Geschichte“ zu „Hitlers Krieg im Osten“. Als Autoren haben hier eine Reihe anerkannter deutscher Historiker und Experten für die NS-Ära und den Zweiten Weltkrieg mitgemacht, unter ihnen Wolfram Wette (Freiburg), Christian Hartmann (München), Dieter Pohl (Klagenfurt), Christian Gerlach (Bern) oder Christoph Dieckmann (Keele, England). Der Schwerpunkt liegt auf militärischen Aspekten des „Unternehmens Barbarossa“ wie auch auf der mörderischen Besatzungspolitik der Nazis in den eroberten Gebieten. Aber es werden auch bisher weniger beachtete Themen wie die Rolle der Frauen im Ostfeldzug oder die Kollaboration der Einheimischen mit den deutschen Besatzern am Beispiel Litauen beleuchtet.

Wolfram Wette schreibt in seinem Einführungsessay auch darüber, wie es ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht nach dem Krieg gelungen ist, in der Öffentlichkeit über Jahrzehnte das Bild von der „sauberen Wehrmacht“ zu zementieren; für alle begangenen Verbrechen wurden Hitler, die NSDAP, die SS und die Gestapo verantwortlich gemacht. Dieses Bild habe sich spätestens seit 1995, seit der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung, ziemlich radikal gewandelt. Mittlerweile ist weitgehend unbestritten, dass die Wehrmacht selbst schwerste Kriegsverbrechen begangen hat beziehungsweise daran beteiligt war.

Das Bild von der „sauberen Wehrmacht“ war wohl am ausgeprägtesten in den 1950er- und 1960er-Jahren. Im Monatsmagazin „Cicero“, das im Juni-Heft „Hitlers Griff nach dem Globus“ einen Schwerpunkt widmet, beschreibt u.a. Michael Schornstheimer, wie in den damals populären Illustrierten „Stern“ und „Quick“, in „Landser“-Heften und Konsalik-Romanen der Überfall auf die Sowjetunion jahrelang als eine Art „sportliches, gefährliches Abenteuer“ dargestellt und die Wehrmacht glorifiziert wurde. Das Wort Kriegsverbrechen wurde damals oft genug in Anführungszeichen gesetzt und mit dem Zusatz „sogenannte“ versehen. Hervorzuheben ist am „Cicero“-Heft auch der Beitrag des prominenten russischen Schriftstellers Viktor Jerofejew zum Thema; in „Zeit Geschichte“ steuert die auch hierzulande gut bekannte Moskauer Historikerin Irina Scherbakowa eine russische Sicht der Dinge zu dem damaligen und folgenden Geschehen bei.

Schließlich sei auch noch auf die „Barbarossa“-Nummer von „Damals. Magazin für Geschichte“ hingewiesen. Auch hier haben erstklassige Experten als Autoren mitgewirkt, etwa die Potsdamer Militärhistoriker Rolf-Dieter Müller und Bernhard Chiari. Der Münchner Historiker Christian Hartmann ist gleich mit zwei Beiträgen zur militärischen Entwicklung des Ostfeldzugs vertreten, während sein Kollege Johannes Hürter die internationalen Konstellationen vor 70Jahren untersucht. Alles höchst lesenswert.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2011)

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