Haider, ein „österreichischer Don Quichotte“

Sogar Slowenen berührtEs war 1971 oder 1972, als ich erstmals auf Jörg Haider aufmerksam wurde: Auf dem Gang der juridischen Fakultät in Wien hatte sich eine Menschentraube um einen braun gebrannten Kollegen im Trachtenanzug gebildet. Was er zu sagen hatte, weiß ich nicht mehr, auf meine Frage, wer der Mann sei, erfuhr ich, dass es sich um den Studienkollegen und Funktionär des RFS (Ring Freiheitlicher Studenten) Jörg Haider handelte.

Erst durch den Putsch Jörg Haiders und die Übernahme des Parteivorsitzes der FPÖ 1985 geriet er wieder in mein politisches Gesichtsfeld. Vieles, was er sagte, erregte Anstoß, vieles auch Zustimmung. Er galt zu Recht als der notwendige Kritiker an zahlreichen Institutionen der in die Jahre gekommenen Zweiten Republik, wie Arbeiter- und Wirtschaftskammer.

Sein größter politischer Erfolg, der Wahlsieg im Jahr 1999, war zugleich der Beginn seiner bundespolitischen Selbstzerstörung, in Kärnten herrschte er als gebürtiger Oberösterreicher (!) mit für heutige Verhältnisse sehr großer Mehrheit als Landeshauptmann und bestimmte über viele Jahre das Geschehen in diesem Bundesland.

Wirklichen Schaden hat Haider auf jenem Gebiet angerichtet, wo er vom Studium her seine Wurzeln hatte, im Bereich öffentlichen Rechts: die völlige Missachtung des Rechtsstaates durch die Behinderung bei der Durchführung des Staatsvertrages in Bezug auf die zweisprachigen Ortstafeln und die Sprachenerhebungen der slowenischen Minderheit, die Verhöhnung des Verfassungsgerichtshofes und des seinerzeitigen Präsidenten Adamovich.

Die zweite Fehlhaltung war die augenzwinkernde Toleranz und Sympathie mit nationalsozialistischem Gedankengut, die nicht nur durch den Sager von der „ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich“, sondern auch durch zahlreiche, nur minimal verschlüsselte Bemerkungen in diese Richtung und, ganz augenscheinlich, mit der Unterstützung der jährlichen Treffen von Kriegsteilnehmern und SS-Veteranen am Ulrichsberg deutlich wurde.

Sein Tod entspricht seiner Rastlosigkeit und Selbstüberschätzung, die unmittelbar darauf ausgebrochene Verehrung erinnert an die Reaktion auf den Tod von Prinzessin Diana, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Sie zeigt aber auch, welche Macht Jörg Haider über die Gefühlswelt der Kärntner hatte, wenn sogar ein Slowene im Radiointerview erklärt, dass er vom Tod jenes Menschen schmerzlich berührt sei, der ihm so geschadet habe.

Dr. Johannes Sääf
1010 Wien

Adieu, Don Quichotte!Dieser Brief kommt zu spät. Eigentlich weiß ich immer noch nicht, wie ich ihn anfangen soll. Kärnten und ganz Österreich trauern um Sie. Und ich muss Ihnen gestehen, dass ich auch mittrauere. Warum?, frage ich mich. Weder durfte ich Sie kennenlernen noch wählen. Ich habe Ihre politischen Meinungen sehr oft nicht teilen können. Trotzdem habe ich immer die Leidenschaft, die Sie Ihren Anhängern und Anhängerinnen schenkten, bewundert. Sie waren für mich ein richtiger Don Quichotte, der aus Österreich seine Dulcinea machte, und das Wort als Kampfwaffe in die Hand nahm. Für Sie war dieses Wort der Schlüssel zur Welt, und damit waren Sie in der Lage, Menschen zu begeistern oder zu provozieren. Sie hatten, so wie der spanische Don Quichotte, diese seltsame Fähigkeit, unterschiedlichste Meinungen über Ihre Persönlichkeit hervorzurufen. Niemand blieb Ihnen gegenüber gleichgültig. Das hat mich an Ihnen fasziniert.

Mit dem Alter, behaupteten Sie selber, wurden Sie ruhiger, dafür überzeugender in Ihren Argumenten. Eines muss ich zugeben: Sie waren die Spitze in der politischen Mittelmäßigkeit, die in Österreich herrscht. Sie könnten nicht ohne Stolz behaupten, dass Sie der Politiker waren, den Österreich als solchen vor knapp 15 Tagen gewählt hat. Ja, natürlich waren die politischen Ideale und die von Ihnen vorgeschlagenen Lösungen wichtig, aber SIE waren der Hauptgrund. Die Menschen haben den Menschen gewählt, weil er sie überzeugen, begeistern und bewegen konnte.

Wie ein richtiger Don Quichotte sind Sie allein gegangen. Ohne Abschied zu nehmen. Sie werden vielen Menschen fehlen, oder besser gesagt, Ihre umstrittene Persönlichkeit wird vielen fehlen, da leider im Moment keiner der Politiker in der Lage ist, Ihre Rolle zu übernehmen.

Sie werden auch mir fehlen. Vor allem Ihre Leidenschaft wird mir fehlen, weil die Don Quichottes immer seltener auf der Welt werden, unabhängig von den Idealen, für die sie sterben. – Adieu.

Carolina García Tornero

8120 Peggau

Pietätlose KommentareEs macht mich betroffen, dass „Presse“ und „Standard“ ihre Diskussionsforen im Internet wegen pietätloser Kommentare zum Tode Jörg Haiders schließen mussten.

Gerade jene, die Haiders Politik zeitlebens abgelehnt haben, nehmen doch für sich in Anspruch, den besseren Charakter oder mehr Moral zu haben. Für einige (hoffentlich nicht zu viele) scheint das nicht zu stimmen, und sie sollten darüber nachdenken.

Ich habe ihn nie gewählt, aber ich schäme mich, in einem Land zu leben, in dem so viele Menschen offenbar nicht wissen, was Anstand ist. Die Tatsache, dass es genau jene sind, die sich im Besitz der politischen Wahrheit wähnen, macht es nur schlimmer.

Dr. R. Kürsten
1010 Wien

Lob für BerichterstattungIch habe mich in den letzten Monaten sehr oft über „Die Presse“ geärgert, wegen der Beliebigkeit, mit der viele Themen behandelt wurden. Heute aber bin ich sehr angetan über die Berichte und Stellungnahmen zum Tod Jörg Haiders, die sich sehr positiv von anderen abheben. Auch wenn „Die Presse“ mehr Zeit hatte als andere, möchte ich das anerkennen.

Dr. Irmfried Speiser

1190 Wien

Befreiung für „drittes Lager“Die wirkliche Bedeutung eines Menschen erkennt oft erst die Nachwelt. Die allgemeine Betroffenheit und ehrliche Trauer hat dem Ausnahmepolitiker Jörg Haider schlagartig die Anerkennung gebracht, die er in meinen Augen immer verdient hat, die ihm aber durch Neid, Missgunst, vielleicht auch aus Angst vor dem Abgestempeltwerden bisher vorenthalten wurde. – Es ist schon vielfach betont worden, dass Jörg Haider die Politik in diesem Land verändert hat. Durch seinen tragischen Unfalltod aber hat er Österreich und seinen Wählern des „dritten Lagers“ das größte Verdienst erwiesen, nämlich die Befreiung vom Odium des Rechtsextremismus.

Dr. Gernot Stöckl
8330 Feldbach

Abgehobenes Wiener ParkettVorausschicken möchte ich, dass ich nicht dem BZÖ angehöre und seit 1973 in Kärnten lebe. Anlass dieses Brainstormings ist die Betroffenheit, die mich gestern (Todestag!) während der Berichterstattung des Herrn Armin Wolf in der ZiB 2 überkam.

Zitat 1: „Jörg Haider war ein charismatischer Menschenfänger.“ Diese Wortwahl ähnelt doch sehr dem gängigen Wort „Rattenfänger“. Das ließe den Umkehrschluss zu, dass alle Menschen, die Jörg Haider je auf Landesebene oder Bundesebene wählten, Eingefangene eines Fängers wären.

Zitat 2: Jörg Haider sei in Kärnten höchst populär gewesen, nur deshalb habe er sich „zumindest“so lange in Kärnten halten halten. Er sei „nur“ Landeshauptmann geworden, sei politisch gescheitert... Fakten, die nur im Kontext der Rahmenbedingungen festgestellt werden können. Von 4% auf 27% 1999, unter welchen Bedingungen auch immer! Aufgrund der Proporzverhältnisse im Land Kärnten konnte er viele Leute für sich gewinnen. Es gab auch Sachzwänge: mangelnde Arbeitsplätze, Abwanderung nach Wien, Graz etc., ein Überhang von graduierten AkademikerInnen, Arbeiter von Kleinst- bis Mittelbetrieben pendelten bzw. pendeln wöchentlich nach Wien, Osttirol, Südtirol,..., um Arbeit zu haben.

Er versuchte, das Vertrauen der Menschen in dieses Land zu stärken, wollte eine weitere Ausdünnung der Bevölkerung eindämmen, war ständig bemüht um neue Arbeitsplätze, auch wenn ihm ein wenig (wie einst Dr. Kreisky) Schulden weniger wichtig waren als Arbeitslose. Seine Vitalität, Flexibilität und sein Optimismus ließen manchen sprachlichen Missgriff vergessen.

Ich meine, dass die genannten Zitate nur in Köpfen des abgehobenen Wiener Parketts entstehen können. – Gelacht wird in Österreich schon lange nicht mehr; Jörgele, wie ihn seine Verehrer nennen, lachte zumindest noch. Er wird uns in der politischen Landschaft fehlen.

Renate Lechner
9201 Krumpendorf

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2008)

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