Die Pariser Bluttat muss den kurdisch-türkischen Dialog nicht aus der Bahn werfen.
Manuel Valls verlor keine Zeit: Kaum verbreitete sich die Nachricht vom Pariser Mord an den drei Kurdinnen, zeigte Frankreichs ehrgeiziger Innenminister sein Gesicht am Tatort. Schneller als er waren nur die wechselseitigen Beschuldigungen: Der türkische Staat war's, sagen die Kurden-Aktivisten. Nein, eine „Abrechnung innerhalb der PKK“, tönt es aus Ankara.
Höchstens eine Variante stimmt. Mindestens eine ist nur ein in dreißig Jahren Konflikt perfekt geölter Reflex. Aber beide – und das zeigt, wie verfahren die Situation ist – sind denkbar. In der PKK und bei den türkischen Sicherheitskräften gibt es Elemente, denen die jüngsten Verhandlungen mehr als einen Schritt zu weit gehen. Die einen sehen ihre Existenzberechtigung schwinden, die anderen ihre privilegierte Position.
Bisher haben auch hier die Reflexe tödlich gut funktioniert: Gewonnen haben immer die, die den Friedensprozess hintertreiben wollten. Verloren haben immer die kurdische Zivilbevölkerung und die armen Teufel, die als Rekruten im Südosten verheizt werden. Premier Erdoğan war, aus welchem Kalkül auch immer, kompromissbereiter als alle Regierungen zuvor. Doch nun ist er unter Zugzwang, seit PKK-nahe Kräfte im syrischen Grenzgebiet zur Türkei eine autoritäre Herrschaft errichtet haben. Wer von Großkurdistan träumt, für den sind die Trümmer des syrischen Staates ein tragender Baustein.
Erdoğan weiß, dass die Zeit für die Kurden arbeitet. Darin liegt die geringe Chance, dass die Hardliner beider Lager es diesmal vielleicht nicht schaffen, die Agenda zu diktieren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2013)