Schlupfloch für eine moderne Türkei

Das Verfassungsgericht in Ankara hat gut dran getan, den derzeit einzig praktikablen Weg der türkischen Gesellschaft nicht zu versperren.

Es war eine knappe Entscheidung, aber eine richtige. Die türkische Regierungspartei AKP kann nach dem Entscheid des Verfassungsgerichts ihre Gratwanderung zwischen Islam und westlichen Reformen fortsetzen. Das Schlupfloch für eine moderne Türkei wurde von den Richtern nicht verstopft.

Freilich, die AKP hat mit der Aufhebung des Kopftuchverbots an Universitäten viele provoziert, die in kemalistischer Tradition die Türkei vor einem Abdriften in den Islam beschützen wollten. Es ist zu hoffen, dass Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan derartige Versuche zur Stärkung der Religion künftig unterlässt. Die Türkei kann nur erfolgreich sein, wenn sie ihre säkulare Ausrichtung erhält.

Hätten die Richter die AKP aber verboten, wäre das Land in eine Krise geraten. Eine Krise, deren Ausgang nicht absehbar gewesen wäre. Ein solches Verbot hätte zur Radikalisierung der Politik beigetragen. Es hätte das zweifelhafte Militär gestärkt und mit ihm alle rückwärts gewandten nationalistischen Kräfte. Und es hätte dem Islam eine neue Märtyrer-Rolle verschafft.

Die AKP ist kein schöner Mittelweg, aber sie ist zur Zeit vielleicht der einzig gangbare, der für die Türkei ein Mindestmaß an Stabilität garantiert. Ihre Gratwanderung muss aber auch deshalb belohnt und nicht bestraft werden, um andere moderne und vernünftige Kräfte im Land zu stärken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2008)

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