Es betrifft nicht nur Österreich

Es nimmt immer stärker zu, ist längst nicht nur in sogenannten reichen Ländern, sondern auch in China zu beobachten, und es wird massive Probleme, nicht zuletzt finanzielle, bereiten.

Trotzdem wird es, im Unterschied zu Pensionen oder Wirtschaft, kaum als öffentliche politische Angelegenheit gesehen, sondern verschämt ins Private abgeschoben. Unbestritten ist: Wir, als Gesellschaft, werden immer fetter. Besonders bei Kindern diagnostizieren Ärzte einen dramatisch wachsenden Anteil von deutlich Übergewichtigen. Weltweit gesehen, und das sagt viel über uns, gibt es heute ebenso viele Übergewichtige wie Hungernde.

Die Ursachen sind bekannt: Evolutionär gesehen ist unser Körper dafür gebaut zu gehen, zu laufen, zu klettern, zwanzig, ja dreißig Kilometer täglich. Bewegung ist seine Bestimmung. Und heute? Zivilisation heißt Hocken und Lümmeln. Nicht nur in der Stadt, auch am Land setzt man sich für kürzeste Strecken ins Auto. Kinder hocken stundenlang vor dem Fernseher oder PC und stopfen nebenbei Unmengen von qualitativ jenseitigem Material in sich hinein. Freie, unverwaltete öffentliche Räume, die dem Entdeckungs- und Bewegungsdrang Jugendlicher Platz geben, sind in unseren Städten kaum noch zu finden. Wahrscheinlich ist schon der Begriff „Gstättn“ bei Jugendlichen kaum mehr bekannt.

Für Straßen und Bahnen werden Milliarden ausgegeben, viele Schulen verfügen aber über erbärmlich kleine, unattraktive Freiflächen. Das Schwierige an diesem Thema ist, es geht um Kultur. Keine singuläre politische Maßnahme kann Abhilfe schaffen. Es zeigen sich aber gesellschaftliche Veränderungen, die Hoffnung geben. Die Kunst des Kochens ist ein wachsender Modetrend. Man vergleiche bloß die für damals Jugendliche uninteressante Biederkeit des Fernsehkochs der 70er Jahre mit einem Jamie Oliver.

Im Wesentlichen muss es einer Gesellschaft gelingen, die Lust an der alltäglichen Bewegung zurückzufinden, als auch eine Kultur des Schmeckens, der Auswahl qualitätsvoller Lebensmittel und die Kunst des Kochens neu zu entdecken.

Verkürzt gesagt: die besten Köche des Landes sollen ihre Kunst in Kindergärten vermitteln. Kochen und Essen als politische Agenda, das wäre doch eine lohnende Bereicherung des Wahlkampfes.


chorherr.twoday.net

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2008)

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