Der rot-grüne Wahlrechts-Trick

Glauben Sie an eine Selbstaufgabe der SPÖ?

Die Meldung hat doch verblüfft: Die Wiener SPÖ, die über jedes Fitzelchen ihrer Macht eifersüchtig wacht, lässt zu, dass ihr Regierungspartner mit der ÖVP und der FPÖ eine Wahlrechtsreform beschließt, die die SPÖ nicht nur ein oder zwei, sondern gleich mehrere Mandate kosten wird.

Was die Frage aufwirft: Glauben Sie an eine Selbstaufgabe der Wiener SPÖ? Eben. Insofern darf man vermuten, dass es sich beim rot-grünen „We agree to disagree“ in Wahrheit um eine Last-Minute-Exit-Strategie der Koalition handelt. Bei der jeder bekommt, was er so gern will: Die Grünen können einerseits ihrer Basis zeigen, dass sie gegen den übermächtigen Partner rebellieren, und andererseits der Opposition beweisen, dass sie sich an den gemeinsamen Notariasakt halten und nicht umfallen.

Da beides den Grünen wichtiger ist als die Reform an sich, dürfen die Roten im Gegenzug den Gesetzesantrag im Ausschuss blockieren. Wobei sie es nicht „blockieren“, sondern „diskutieren“ nennen werden. Und zwar so lang, bis sich vorm Wahltermin eine Grundsatzreform nicht mehr ausgeht. Dass man so ein Verhalten außerhalb des roten Universums für unverschämt hält, nimmt man dabei lässig in Kauf. Denn man weiß: Den (SPÖ-)Wähler interessiert die Reform kaum.

Spannend könnte es nur werden, wenn die Trickreichen selbst ausgetrickst werden: Findet die Opposition einen Weg, eine direkte Abstimmung im Plenum zu erzwingen, müssen die Grünen Farbe bekennen und wählen: zwischen der Sympathie ihrer Basis und der Chance auf Rot-Grün, Teil zwei. Und es sagt viel über die Grünen, dass man nicht sicher ist, wie die Entscheidung ausgeht.

ulrike.weiser@diepresse.com

Anmerkung der Redaktion: Eine frühere Version dieses Kommentars erschien unter dem Titel "Wiener Wahlrecht: Der Rot-Grüne Trick".

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