Bösewichte, Verlierer und Parteibuch-Sesselkleber

In Deutschland wird eine Rücktrittskultur zelebriert, die in Österreich undenkbar ist. Ein Abschied, wie ihn Jürgen Klopp vorgezeigt hat, ist im Sport oder der Politik verpönt.

Jürgen Klopp nimmt Abschied, der Trainer wird Borussia Dortmund mit Saisonende nach sieben Saisonen verlassen. Er hatte großen Anteil daran, dass der BVB Erfolg hatte. Klopp führte den Verein zu zwei Meistertiteln, sogar ins Champions-League-Finale – Dortmund war ein Bayern-Schreck. Jetzt weiß der in Deutschland jahrelang als Wunderwuzzi gepriesene Betreuer nicht mehr weiter, also geht er.

Klopps Energie scheint verraucht, seine Magie verblasst, das Spiel des BVB stagniert – und dennoch: Erst in solchen Augenblicken entfaltet sich die wahre Größe eines Cheftrainers. Er geht, bevor er nach erneuten Rückschlägen, langem Jammern von Fans, Spielern, Medien und entscheidungsunfähigen Klubchefs hochpreisig abgesägt wird. Er bat um Auflösung des Vertrages, Klopp geht erhobenen Hauptes. Ob er in der Hinterhand für die kommende Saison nicht längst ein weitaus höher dotiertes Angebot aus England hat, bleibt abzuwarten. Halb Europa will ihn engagieren, die für einen solchen Schritt überaus hemmende Jobangst ist Klopp fremd.

Es ist die in Deutschland einzigartige Rücktrittskultur, die imponiert. Es gibt kein Aussitzen von Verträgen um jeden Preis. Es gibt nur selten Sesselkleber oder die hierzulande als Grüß-Gott-August bekannten, willfährigen Ja-Sager, die Kritik um jeden Preis von Amts wegen regungslos schlucken. Nicht nur gute Trainer beherrschen dieses Geschick, auch viele Klubchefs oder Ärzte. Etwa Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt – der 72-Jährige verließ Bayern München wegen Pep Guardiolas Kritik an seiner Arbeit nach 40 „Dienstjahren“. Ab einem gewissen Punkt gibt es eben keine Wiederkehr.

In Österreich ist das undenkbar. Welcher Politiker tritt, trotz stadtbekannter Amtsmüdigkeit, nach verbalen Fehltritten zurück? Welcher Trainer (ein Beispiel: Gerald Baumgartner!) wirft nach Misserfolgen freiwillig das Handtuch? Welcher Sportfunktionär gibt sein Amt, Parteibuch-unfreundlich, ab? Das sind Visionen, die erst ab der Staatsgrenze Wirklichkeit werden.

Dieses Treiben beinhaltet auch Amüsantes, es ist österreichisches Kulturgut. Wie sonst wären all die umstrittenen Personalfragen und Skandale in diversen Verbänden möglich? Womöglich käme Bewegung in die lahme, auf Freunde bedachte Sportpolitik. Die permanente Jobrotation wäre sicherlich unerträglich. Man wüsste ja irgendwann gar nicht mehr, wer denn der Bösewicht, der notorische Verlierer oder der Parteibuch-Sesselkleber ist.

markku.datler@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2015)

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