Ist Botox ein Frauenrecht?

Naomi Wolf: Der westliche Feminismus erfüllt die Forderungen des „Konsumkapitalismus“.

Als man 2008 den 100.Geburtstag der Simone de Beauvoir feierte, schien ihr Geist noch lebendig – jetzt muss man die Feminismuspionierin wohl endgültig begraben. Im Grabe umdrehen würde sie sich jedenfalls, wüsste sie, wofür die größte feministische Organisation der USA derzeit kämpft: für das Recht auf unbesteuerte Schönheitsoperationen.

1968 veranstaltete die Frauenbewegung noch Lidschatten-Autodafés, jetzt empört sich Terry O'Neill, Präsidentin der National Organization for Women, über den Plan einer „Bo-Tax“ auf kosmetische Eingriffe. Obama will damit die allgemeine Krankenversicherung finanzieren helfen. Doch eine Gesellschaft, die Frauen mittleren Alters abwerte, habe nicht das Recht, sie zu bestrafen, weil sie jünger erscheinen wollen, als sie sind, argumentiert O'Neill. Auch würden „mittelalterliche“ Frauen besonders unter der Wirtschaftskrise leiden – und je schlechter das Aussehen, desto schlechter die Aussichten.

Ist ein solcher Feminismus nicht selbst eine Art Schönheits-OP? Ein Botox-Feminismus, der auf Herz- und Hirnoperationen verzichtet und sich mit kosmetischen Kinkerlitzchen begnügt? „Anpassungsfeminismus“ nennt Autorin Judith Warner in der „New York Times“ das verständnisvoll. „Die Frauenbewegung muss sich den Lebensrealitäten unserer Kultur anpassen, in denen viele ihrer grundlegenden Ziele nicht nur nicht erreicht wurden, sondern sich wieder entfernen.“


Vielleicht waren es ja zum Teil gar nicht die richtigen Ziele? Zumindest meint das Naomi Wolf in ihrem neuen Essay „The Achievement Myth“. Wolf, seit dem Buch „The Beauty Myth“ ein Sprachrohr der „dritten Welle“ der Frauenbewegung, kritisiert den Feminismus des „Strebens nach immer mehr“, der die „Anforderungen des Konsumkapitalismus und der postindustriellen Arbeitsmoral“ erfülle. Der westliche Feminismus habe Frauen gelehrt, unzufrieden zu sein und immer mehr zu fordern, ihnen damit aber auch die innere Ruhe genommen, beklagt sie. „Bedauerlicherweise wurde für uns im Westen die zweite Welle des Feminismus von ehrgeizigen, hochgebildeten Frauen artikuliert, die Eliteuniversitäten besuchten und beruflichen Erfolg als Gipfel der Leistungen überhaupt betrachteten. Für andere Formen von Leistung wurde kaum Platz eingeräumt, etwa die Pflege betagter Eltern, beziehungspflegendes Wirken als Mitglied einer Gemeinschaft oder – ausgesprochen unwestlich! – das Erlangen einer gewissen inneren Weisheit, Erkenntnis oder inneren Friedens.“ Auch sei es „nicht unbedingt ein Sieg für die Frauen – oder Männer –, dass berufstätige Frauen 40Jahre später genauso erschöpft sind, wie es berufstätige Männer es von jeher waren.“

Ein Sieg für die Konsumindustrie ist es jedenfalls, könnte man hinzufügen. Frauen, die sich zwei Jahrzehnte lang zwischen Beruf und Familie oder auf den rauen Stufen der Karriereleiter aufgerieben haben, müssen sich Botox spritzen, um weiter der Optik einer jugendlichen Hochleistungsgesellschaft zu entsprechen. Das wieder hieße: Der neue Botox-Feminismus und der alte Feminismus des „immer mehr“ sind keine Gegensätze, im Gegenteil – sie ergänzen sich perfekt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2009)

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