Wenn Politik Richter macht

Solange Richterposten von der Politik besetzt werden, fristet die Unabhängigkeit ein trauriges Dasein.

Gewiss, diese Konstellation hat sich keine der beteiligten Personen ausgesucht: Ein hoher Richter, der in zweiter Instanz im Bawag-Verfahren entscheidet – und dies mit seinem Senat in völliger Unabhängigkeit tun soll –, ist plötzlich „abhängig“. Nicht beim Ausfertigen des Bawag-Urteils, sondern in eigener Sache. Will er beruflich aufsteigen, braucht er die Justizministerin. Und das ist ausgerechnet jene Juristin, die das erste Bawag-Urteil geschrieben hat.

Es wäre zu kurz gegriffen, würde man hier nur ein Mal mehr anprangern, dass die Richterin, die in erster Instanz den bisher größten Wirtschaftsprozess der österreichischen Geschichte geführt hat, bei offenem Verfahren (lange vor Rechtskraft) in die Politik gewechselt ist. Freilich ist dies problematisch, da ja Claudia Bandion-Ortner als Ministerin an der Spitze der staatsanwaltlichen Weisungskette steht und damit in „ihr“ Bawag-Verfahren theoretisch eingreifen könnte.

Aber das Grundproblem liegt im System: Solange ein politisches Amt, eben das des Justizministers, für Postenbesetzungen bei den Richtern zuständig ist, bleibt ein schaler Beigeschmack. Ein unabhängiger „Rat der Gerichtsbarkeit“ als Entscheidungsgremium bei richterlichen Jobvergaben würde Abhilfe schaffen. Und die Verkrampfung lösen: Bekommt nun nämlich der besagte hohe Richter den Job, heißt es, er habe dafür vielleicht ein „freundliches“ Bawag-Urteil geschrieben. Bekommt er ihn nicht, war er zu kompromisslos. Wie man es auch dreht und wendet...

manfred.seeh@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.