Die Staatsanwälte wollten den zweiten Bawag-Prozess gar nicht, bekamen aber eine Weisung „von oben“.
Es wirkt irgendwie anachronistisch, wenn Verteidiger Erich Müller den beiden (weiblichen) Schöffen erstens erklärt, wer er selbst früher einmal war, nämlich Wirtschaftsstaatsanwalt – und wenn er den beiden Frauen dann empfiehlt, Protokolle von 1994 zu lesen. Damals hatte Staatsanwalt Müller – er, der heutzutage den angeklagten Ex-Bawag-Vorstand Christian Büttner vertritt – auf Druck „von oben“ das Verfahren wegen der ersten Karibik-Deals der Bawag eingestellt. Diese Geschäfte hatten der Bank übrigens gutes Geld gebracht.
Die aktuelle Bawag-Staatsanwältin, Sonja Herbst, gibt nun in entwaffnender Offenheit zu, dass ihre Behörde nach der herben OGH-Kritik an den Urteilen des ersten Verfahrens die ganze Sache sein lassen wollte. Man habe von der Verfolgung zurücktreten wollen. Spekulant Wolfgang Flöttl wäre frei gegangen (die Strafe für Helmut Elsner war ja vom OGH bestätigt worden).
Es war also wieder Druck „von oben“ im Spiel: Eine Weisung der Wiener Oberstaatsanwaltschaft sorgte dafür, dass nunmehr erneut über hoch riskante Spekulationsgeschäfte aus den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts geurteilt werden muss. Warum? Furcht vor der öffentlichen Meinung – die da hätte lauten können: Elsner, der „Geldgeber“, bekommt die Höchststrafe und Flöttl, der „(Ver-)Zocker“, kommt frei?
Spekulieren allein ist nicht kriminell. Da muss schon ein Missbrauch der Befugnis plus Schädigungsvorsatz dazukommen. Möglich, dass dies den erneut angeklagten Herren doch noch nachzuweisen ist. Möglich, dass es Freisprüche gibt. Jedenfalls sollte die Justiz keine Fehler mehr machen. Sonst behalten jene Spötter recht, die schon jetzt den dritten Bawag-Prozess kommen sehen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2012)