Schulden machen, bis das Morphium ausgeht

Stellen wir uns vor, wie es wäre, wenn man die fetten Jahre genutzt hätte, um die Schulden so weit zu reduzieren, dass die Zinslast um 30 Prozent geringer wäre.

Österreichs Wirtschaft ist gesund, sagt der Wirtschaftsbericht der Regierung. Die Krise wurde gut gemeistert, die Wirtschaft wächst wieder, die Arbeitslosenrate ist vorbildlich.

Gesundheit ist freilich eine Definitionsfrage, oder wie die Gesundheitsphilosophen sagen: Krankheit ist eine Funktion der Diagnose. Wer im Großen und Ganzen schmerzfrei ist und sich in einer psychisch stabilen Lage befindet, gälte nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO selbst dann als gesund, wenn er Krebs im Endstadium hätte. Wer (noch) nichts spürt und deshalb keinen Arzt aufsucht, sowieso. Mit der ökonomischen Selbstdiagnose der österreichischen Regierung verhält es sich ähnlich. Mehr noch: Wir sind psychisch so stark, dass wir uns trotz der düsteren Prognosen der OECD und anderer ökonomischer Internisten über unser volkswirtschaftliches Herz-Kreislauf-System eines ausgesprochenen Wohlbefindens erfreuen.

Das hat unbestrittene Vorteile: Optimismus wirkt sich auch dann positiv auf die Investitions- und Konsumfreude aus, wenn ihm keine besonders überzeugenden Fakten zugrunde liegen. Um im Bild zu bleiben: Die Arbeitslosigkeit schmerzt uns so wenig, weil wir ausreichend mit Morphium der Sorten Frühpension, Invaliditätsrente und Umschulung behandelt werden. Und wenn die Finanzministerin sagt, dass alles fein sei, man sich jetzt aber doch ein wenig um den Abbau der Schulden kümmern müsse, klingt das ein wenig so, als würde der Onkologe verkünden, dass alle Befunde bestens seien, abgesehen davon, dass man sich beizeiten den Tumor ansehen wolle, der sich da in der Lunge breitgemacht hat.

Dass Österreich jährlich mehr als zehn Milliarden Euro für Zinszahlungen aufwenden muss, also etwas mehr als drei Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung, wird gern als unvermeidbarer Kollateralschaden der glanzvollen Krisenbekämpfung verkauft. Dass sich der Verschuldungsgrad krisenbedingt noch einmal erhöht hat, ist wohl wahr. Wahr ist aber auch, dass es nicht gelungen ist, während der Hochkonjunkturphase mit mehr als drei Prozent einen annähernd ausgeglichenen Staatshaushalt zustande zu bringen. Das bedeutet, dass es die Finanzkrise den Verantwortlichen für die Staatsfinanzen erlaubt hat, ihr Missmanagement während der langen Boomphase zu vertuschen. Der primitive Schmäh funktioniert noch immer: Wenn es schlecht geht, kann man nicht sanieren, weil die eigentlich notwendigen Einschränkungen die ohnehin schon geschundenen Untertanen noch weiter in die Verzweiflung treiben würden. Und wenn es gut geht, kann man nicht sanieren, weil die Untertanen, die in der Krise geschunden wurden, nicht verstehen würden, dass sie jetzt, da endlich wieder die Sonne scheint, im Schatten der Einschränkung frieren sollen.

Stellen wir uns einfach einmal vor, wie es wäre, wenn man die fetten Jahre genutzt hätte, um den Schuldenstand so weit zu reduzieren, dass die aktuelle Zinslast um 30 Prozent geringer wäre. Das würde eine Verdopplung jener Mittel erlauben, die die Republik für die Universitäten ausgibt. Es heißt übrigens auch, dass wir dreimal so viel Geld für Kreditzinsen ausgeben wie für die Universitäten – das müsste sogar jemandem zu denken geben, der sich persönlich aus Bildung nicht sonderlich viel macht.

Man muss befürchten, dass die Regierung die zusätzlichen zwei Milliarden tatsächlich ins System schütten würde, weil man dann nach jetzigem Stand ungefähr eine Legislaturperiode lang Ruhe vor den lästigen Rektoren hätte (die wollen 300 Millionen zusätzlich pro Jahr) und sich auch über Studiengebühren keine Gedanken mehr machen müsste. Man steckt ja auch ein Drittel aller zusätzlichen Einnahmen den gierigen Landesoperettenfürsten in den Rachen, statt das Geld dafür zu verwenden, sie abzuschaffen und die Verwaltung unseres Zwergstaates den Grundprinzipien der menschengerechten Bürgerhaltung anzupassen.

Vielleicht sollte die Regierung geschlossen nach Griechenland fahren. Dort kann man derzeit sehen, wie es sich anfühlt, wenn einem plötzlich das Geld für volkswirtschaftliche Morphiumgaben ausgeht und der Schuldentumor explodiert: eher schmerzhaft.

E-Mails an: michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2011)

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