Die EU-Politik führte zur Japanisierung Europas

Die Anzeichen für die Rückkehr der Krise kommen wenig überraschend. Die Theorie, dass man durch hohe Staatsschulden Wachstum erzeugen kann, ist widerlegt.

Erinnern Sie sich an das Frühjahr 2010? Der ärgste Teil der „größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit der Großen Depression“ schien damals vorüber zu sein, und die Debatte der Experten drehte sich um die Frage, welchen Verlauf die weitere wirtschaftliche Entwicklung nehmen könnte. Als Chiffren für diese Szenarien standen drei Buchstaben zur Wahl. Optimisten rechneten mit einem „V-Verlauf“: Dem tiefen Absturz würde ein ebenso steiler Aufstieg folgen. Das „W“ hätte bedeutet, dass der wirkliche Wiederaufschwung erst nach einem kurzen Zwischenhoch und einem weiteren Rückfall kommen würde, das sogenannte „peppelnde W“ legte einen Verlauf mit mehreren solcher Zwischenszenarien nahe. Ein Verlauf in „L-Form“ hätte bedeutet, dass auf den Absturz ein langes Stagnieren auf niedrigem Niveau folgt.

Sicher wissen wir heute nur eines: Ein „V-Verlauf“ ist es dann nicht geworden, derzeit sieht es eher nach einem „W“ aus. Wenn jetzt gerade das Zwischentief nach dem Zwischenhoch bei uns angekommen ist, stellt sich die Frage, wie oft das noch so sein wird, bis wir wieder mit solidem, nachhaltigem Wachstum rechnen dürfen.

Ein näherer Blick auf die Prämissen für die Prognose des einen oder des anderen Szenarios legt leider einen anderen Schluss nahe. Nämlich den, dass da jemandem beim Aufmalen eines L kurz der Bleistift ausgekommen ist. Es droht eine Japanisierung Europas und der USA: Stagflation, also Stagnation bei relativ hohen Inflationsraten. Die Theorie, dass man durch eine hohe strukturelle Staatsverschuldung Wachstum generieren kann, wurde in Japan widerlegt.

Das Entwerfen von ökonomischen Zukunftsszenarien unterscheidet sich von den Buchstabensuppenspielen unserer Kinder dadurch, dass wir nicht unserer Fantasie und dem Zufall freien Lauf lassen, sondern versuchen, aus dem gegenwärtigen Verhalten aller Beteiligten – Gesetzgeber, Unternehmen, Konsumenten – möglichst plausible Schlüsse für die Zukunft zu ziehen.

Was wir derzeit erleben, ist das Ergebnis eines Abgleichs zwischen Erwartungen und Realität. In den Vereinigten Staaten mussten vor Kurzem Konjunkturdaten, auf denen optimistischere Prognosen gründeten, revidiert werden. Und in Europa finden solche Revisionen praktisch wöchentlich statt. Man muss, um den Verlauf der Kursentwicklungen auf dem Anleihenmarkt und die kontinuierliche Verdüsterung der Prognosen für den ganzen Euroraum zu verstehen, weder Spekulant noch Depressant noch Hellseher sein. Es reicht, die Frequenz der Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU in Relation zur Entwicklung der Anleihenzinsen zu setzen.

Wer das tut, sieht, dass die europäischen Politiker nicht dazu in der Lage sind, das Problem zu lösen. Seit einem Jahr werden jene, die festhalten, dass der Euro nicht durch die Umschuldung Griechenlands, sondern durch die Rettungspakete in Gefahr ist, als verantwortungslose Obskuranten mit Hang zur Apokalypse denunziert. Obwohl ihnen jeder einzelne Akt im griechischen Drama recht gibt.


Man hat die Spitzenpolitiker der EU und die US-Regierung zu Recht dafür gelobt, dass sie im September 2008, nach dem Zusammenbruch der Lehmann-Bank, schnell und richtig reagiert haben, indem sie das schreckstarre Finanzsystem durch massive Liquiditätsspritzen wiederbelebt haben. Die Fortsetzung dieser Politik über volle zwei Jahre kam allerdings der Bekämpfung eines Schwelbrandes mit Benzinspritzen gleich.

Die dennoch positiven Erwartungen der Marktteilnehmer gründeten auf dem Versprechen der G20 und anderer Organisationen, neue Spielregeln zu definieren, die eine Wiederholung der Krise verhindern sollten. Ziemlich zentral, das zeigt sich auch in der Griechenland-Krise, wäre die Wiederherstellung des marktwirtschaftlichen Grundsatzes gewesen, dass jene die Verluste riskanter Geschäfte zu tragen haben, die zuvor auch die Risikoprämien kassiert haben.

Angela Merkel und Nicolas Sarkozy haben ein Krisentreffen angekündigt. Sollte jetzt auch noch Ewald Nowotny erklären, dass im Großen und Ganzen alles in Ordnung sei, empfehlen wir den Erwerb warmer Kleidung.

E-Mails an: michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2011)

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